Die Polizei war hier auf dem Blog ja schon öfter mal Thema – sie gehört für mich in der Türkei mehr und mehr zum Pilgeralltag. Die örtliche Nähe zur syrischen Grenze und der geringe zeitliche Abstand zum Referendum machen sich bemerkbar…
Kleine Auswahl:
Am Abend vor meiner Ankunft in Adana bin ich an einer Verkehrskontrolle vorbeigekommen. Neben ein, zwei Polizeiautos gab es da auch noch einen Panzerwagen. Ich konnte nicht feststellen, dass irgendein Auto kontrolliert worden wäre – aber mich haben die beiden Beamten in Zivil zu sich herkommandiert, und ich musste meinen Rucksack auspacken. Als die Staatsdiener schließlich davon überzeugt waren, dass ich wirklich ein Pilger bin, haben sie mir zum Trost eine 1,5 L Wasserflasche und eine Tüte mit Orangen geschenkt. Auch ihren Ausweis durfte ich noch sehen (ich hatte auf Deutsch reklamiert, dass ich keine Ahnung hätte, mit wem ich hier eigentlich spräche – soviel Deutsch konnten die beiden trotz gegenteiliger Beteuerung also doch…), und guten Rat gab es auch noch: Das Stadtzentrum von Tarsus sei noch 15 Kilometer entfernt, ich müsse mich beeilen, nachts sei es gefährlich auf den Straßen der Türkei…
Vor drei Tagen habe ich in Yeniyurt Station gemacht. Die Männer, die ich dort angetroffen habe, waren sich einig, dass ich im Nebenraum der Moschee schlafen könne und bei einem der Beteiligten vorher zu essen bekäme. Als wir etwa 10 Minuten in dessen Haus waren, mussten wir allerdings erst mal wieder an die Moschee: Die Bullerei war da und wollte nach eigenen Angaben für die Dorfbewohner sicherstellen, dass ich kein Terrorist sei. Man kontrollierte meinen Ausweis und erklärte alsbald, mir helfen zu wollen. Man fragte, wo ich her käme und hin wolle, wollte wissen, wie man mir helfen könne – und teilte mir mit, mich jetzt in die nächste Stadt (Dörtyol) an den Busbahnhof zu bringen. “Tamam?”
Nein, das war aus meiner Sicht keineswegs o.k., und daraus machte ich keinen Hehl. Der Beamte meinte daraufhin, er sei eben Soldat und müsse die Dorfbewohner schützen, sie hätten Angst vor dem Terror.
Ich trat mit Hilfe des Google-Translators die Flucht nach vorn an. Ich tippte ein: “Was machen Sie denn? Ich bitte Sie im Namen Allahs um Gastfreundschaft, und dann DAS?! Ich habe schon zweimal erlebt, dass die Polizei gesagt hat, sie hilft mir. Und dann hat sie mich dort hin gebracht, wo ich nicht übernachten konnte.” Das hielt ich meinem “Essensgastgeber” unter die Nase.
Das zeigte Wirkung: Nach kurzem Austausch zwischen dem Soldaten und meinem Gönner sollte ich noch einmal mein “Zauberpapier” zeigen – den handgeschriebenen Zettel aus Sakarya, der mich als müden, hungrigen Ausländer vorstellt, der kein Türkisch spricht und im Namen Allahs um etwas zu essen und ein Nachtlager bittet. Der Verfasser, Abdul-Vali, hat auch seinen Namen und seine Telefonnummer darauf vermerkt. Auf die kam es jetzt an: Der “Soldatizist” telefonierte einige Zeit mit Abdul-Vali, und dann reichte er mir das Handy weiter. Abdul erklärte mir, dass ich bleiben könne, wegen der Terrorgefahr aber mein Rucksack untersucht werden müsse.
Nun, das hatte ich selbst schon vorgeschlagen gehabt. Und für die Dorfbewohner selbst schien das keine allzu große Bedeutung zu haben: Einer der Söhne meines Gastgebers bekam einen Wink und trug den Rucksack in den Moschee-Nebenraum – da blieb er dann auch, und zwar ohne jede Untersuchung. Die Jandarma verschwand umgehend.
Zwei Tage später (nämlich heute) in Iskenderun: Ich habe mir am Morgen Zeit gelassen, Tagebuch geschrieben, in aller Ruhe meine sieben Sachen gepackt, meditiert, gebetet, und möchte jetzt, gegen 12:00 Uhr, noch schnell eine Runde schwimmen gehen – wer weiß, wann ich wieder die Gelegenheit dazu haben werde? Der Strand ist eigentlich gar keiner: Ein Steinwall schließt an die Uferpromenade an, und hinter ihm beginnt direkt das Mittelmeer. Ich suche mir eine Stelle des Walls aus, die mir leidlich Deckung beim Umziehen bieten soll, doch soweit kommt es gar nicht: Ein Polis-Motociklet hält neben mir, und es ergeht der unmissverständliche Befehl, auf die Promenade zu kommen und den Rucksack auszupacken. Nun, das ist inzwischen ja Routine.
Doch der Rucksack findet diesmal weit weniger Beachtung, als ich erwartet hatte: Ich habe nämlich, auf einen Extrabefehl hin, auch meinen Reisepass vorgezeigt. Und der hat keinen Einreise-Sichtvermerk.
Das kann er auch gar nicht haben: Ich bin nicht mit dem Reisepass in die Türkei eingereist, sondern mit dem Personalausweis. Ein entsprechendes Papier vom Grenzübergang Malko Tyrnovo kann ich vorweisen. Wenn ich allerdings geglaubt hatte, damit sei das Problem gelöst, so war das ein Irrtum.
Man blättert in meinem “Passport”, telefoniert, liest, blättert wieder, und man fragt immer wieder nach, wann ich eingereist sei und warum nichts davon im Pass stehe. Ich nenne den eifrigen Motorradpolizisten die Telefonnummer einer gut Deutsch sprechenden Türkin, die ich noch gar nicht persönlich kennen gelernt habe, deren Großfamilie mich aber bewirtet und über Nacht beherbergt hat; dabei war sie fermündlich zugeschaltet, und die Kommunikation lief im Wesentlichen per telefonischer Übersetzung.
Das funktioniert auch hier wunderbar: Harika, so ihr Name, nimmt ab und hört sich mit einer wahren Engelsgeduld immer wieder die gleichen Fragen an, antwortet, übersetzt, vermittelt – alles ohne Erfolg. Ich muss warten. Und zwar auf zwei Zivilpolizisten, die jetzt dazu stoßen und die Lage noch verkomplizieren. Sie fangen nochmal von vorne an und fragen die Dinge, die ich schon mehrmals beantwortet habe und die zum Teil in meinen Ausweisdokumenten stehen. Verstehen oder einsehen wollen sie nichts. Schon gar nicht, dass der Pass bei meiner Einreise noch in Deutschland sein musste, weil ich ein Visum für Syrien haben wollte und diese Visa grundsätzlich nur zwei Monate Gültigkeit besitzen. Ein Antrag vor meiner Abreise wäre also sinnlos gewesen bei vier Monaten Fußreise bis in die Nähe der Grenze zu Syrien…
Besser wird es auch dann nicht, als sich ein deutsch-türkischer Passant die Mühe macht, wortgewandt und eloquent die Sachlage immer wieder zu erläutern: dass ich keinen Pass zur Einreise brauche, ihn nicht vorgezeigt habe und auch nicht dabei hatte, und dass das Einreisepapier ja vorliege. Irgendwann muss auch dieser nette Helfer kapitulieren.
Wir versuchen es nochmal mit Harika. Vergeblich. Die Bullen haben während der ganzen Zeit meinen Pass, meinen Personalausweis und mein Einreisedokument in der Mache.
Doch nein: Was liegt denn da auf der Uferpromenade? Richtig: Das ist das Papier, das meine legale Einreise über Bulgarien dokumentiert. Der Wind hat es von der Motorrad-Sitzbank geweht, wo es zusammen mit meinem Reisepass von den Polizisten abgelegt worden war. Dass es weggepustet wurde, hat von den eifrigen Kontrolleuren niemand bemerkt.
Endlich verabschieden sich die Motorradfahrer. Ich bin erleichtert – nun hat die Polizei den so überaus komplizierten Sachverhalt begriffen!
Doch weit gefehlt: Die Zivilpolizei ist immer noch nicht zufrieden. Es folgt ein weiteres Telefonat mit Harika und mehrere mit wem auch immer: Den Beamten am Grenzübergang? Der Polizeizentrale? Gar dem Geheimdienst oder der Anti-Terror-Spezialeinheit?
Spaß beseite. – Ich soll mitkommen zum Auto der beiden eifrigen Zivilen. Dort habe ich zu warten, bis man auf dem Kofferraum ein handschriftliches Papier verfasst hat. Dann bekomme ich den Befehl, zu unterschreiben. Ich setze dazu an, eine Ergänzung zu notieren, nämlich: dass ich keine Ahnung habe, was ich da unterzeichne, meine Unterschrift aber verlangt wird. Einer der Polizisten will das aber nicht zulassen: Er drängt vehement auf die Unterschrift.
Ich lehne ab und “rege dringend an”, noch einmal meine Übersetzerin ins Spiel zu bringen. Ich rufe sie selbst an und erkläre ihr die Lage. Es gelingt mir auch, einen wesentlichen Teil des Papiers zu fotografieren und Harika per Whatsapp zukommen zu lassen – eine “richtige” Fotografie lassen die Polizisten nicht zu.
Harika meint, es stünde da nur, dass ich keine Schuld hätte und freigelassen würde. Na, das ist ja mal eine gute Nachricht!
Ich unterschreibe – mit dem oben erwähnten “Verständnislosigkeits-Zusatz”. Dann kann ich gehen. Nach fast zwei Stunden “Bearbeitungszeit”…
Am Abend ist die nächste Runde im Kontrollkampf angesagt. Diesmal ist es nicht der Pass, der die Terrorphantasie der Polizisten beflügelt, sondern es sind die Bilder, die ich heute Nachmittag mit dem Handy geknipst habe.
Sie werden sorgfältig studiert (übrigens von Leuten, von denen ich keine Ahnung habe, wer sie sind. Ich weiß nur, dass sie mit dem Imam gegommen sind, in dessen Moschee ich heute Gastrecht genieße), und es wird genau hinterfragt, warum ich denn da “in den Bergen” Fotos gemacht habe, was ich für einen Beruf habe, wo ich genau wohne usw. usf. Den Rucksack muss ich diesmal wirklich KOMPLETT leer machen – insgesamt sind die Männer aber schneller als ihre Kollegen vom frühen Nachmittag. Und: Sie haben einen eigenen Übersetzer am Telefon. Dieser erklärt mir zum Schluss noch, ich solle nicht weiter durch die Berge gehen. Das sei gefährlich: Es seien dort immer noch Terroristen versteckt, es gebe Räuber, und außerdem hätten die Leute Angst vor Fremden und vor Terror. Es könne also sein, dass jemand aus dem Dorf bei meinem Anblick die Polizei rufe und ich dann wieder Ärger bekomme…
Nun, ich kann meinem Gesprächspartner versichern, dass ich dazu nicht unbedingt in die Berge gehen muss. Die Strandpromenade von Iskenderun genügt vollkommen.