Letzte Nacht, Mittwoch auf Donnerstag, den 9.3., habe ich in Saglic übernachtet. Eine kurdische Familie; der Vater als weit herumgekommener “Arbeitslegionär” sehr gut Deutsch sprechend, hatte mir einen Schlafplatz in der Stube seines alten Hauses eingeräumt. Die Familie selbst schläft grundsätzlich im Neubau nebenan…
Der Tag beginnt für mich sehr nachdenklich. Ich setze mich mehrfach an den Weg und beschäftige mich mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Zeitlich passt das gut: Ich habe heute nicht allzuviel vor.
Der stürmische Südostwind, gegen den ich in den letzten Tagen zu kämpfen hatte, setzt heute später ein – dafür noch heftiger als gestern und vorgestern. Ich stapfe weiter vorwärts durch die Ödnis dessen, was ich für mich die “türkische Wallachei” nenne.
Zwischendrin habe ich endlich die Gelegenheit, eines der Tiere aus der Nähe zu beobachten, die hier die überdimensionalen Mauselöcher in den Boden machen: Einen Ziesel. Ich stehe am Straßenrand, und der Ziesel sitzt vielleicht acht Meter von mir entfernt vor seinem Loch. Dann nähert sich ein Auto, mehrfach hupend hält es direkt neben mir. Der Fahrer will wissen, wo ich herkomme, radebricht irgendetwas von Essen, Holland, Dänemark. Als ich sage, dass ich aus Deutschland komme, belehrt er mich: “Deutschland Scheise!” – und fährt davon.
Aha. Soviel zum augenblicklichen Stand des Projekts Völkerverständigung…
Den Ziesel hat das alles nicht angefochten. Er sitzt immer noch vor seiner Erdöffnung. Da bleibt er auch noch eine ganze Weile sitzen, als ich mich Schritt für Schritt näher schleiche, immer wieder ein Foto machend. Erst sehr viel später, als ich es erwartet hätte, huscht er hinein.
Ich komme gegen 17:00 Uhr in Gölyazi an. Das ist heute meine Endstation – der nächste nennenswerte Ort dieser türkischen Wallachei liegt 20 Kilometer entfernt (jedenfalls in meiner Wanderrichtung). Am Ortseingang treffe ich einen alten Mann. Ich bekomme Tee und Fladenbrot mit Krümelkäse. Ein junger Mann kommt dazu, er will mich mit dem Imam bekannt machen und geht davon aus, dass ich über ihn eine Möglichkeit zum Übernachten bekommen kann. Hundert Meter entfernt steht der Imam bei den Gandarmen des Dorfes. Ich werde begrüßt und zeige meinen Wunderzettel. Als ich meine Reise vorstelle, setzt eine kurdische Sachdiskussion ein, die sich um die nächsten Ortschaften dreht. Na ja, denke ich – kann ja nicht immer auf Anhieb klappen…
Der Imam fährt los, und meine neue Bekanntschaft entschuldigt sich viele Male. Ich kann ihn beruhigen: Es ist noch Nachmittag, und der Ort noch recht groß.
Etwas weiter Richtung Ortsmitte komme ich vor dem Laden mit einem sehr jungen Mann ins Gespräch. Von seiner Freundin bekomme ich aus dem Laden Wasser und eine kleine Packung Kekse. Und der Fahrer eines dazukommenden Pickups erklärt sich bereit, mir zu helfen. Er bringt mich ins nahe Teehaus und ordnet an, dass ich essen und trinken kann auf seine Rechnung. Um meine Übernachtung werde er sich kümmern.
Was folgt, ist eine lange Zeit im Teehaus. Tee, Cola, ein getostetes Ekmek mit Käse, einige bruchstückhafte Unterhaltungen und viel Rauch werden mir zugeführt. Irgendwann ruft mich einer meiner Gesprächspartner heran und stellt mir einen älteren, gepflegten und gutgekleideten Herrn vor. Bei ihm könne ich heute übernachten.
Ich hatte mittlerweile etwas abseits gesessen und geschrieben. Mein Gastgeber in spe winkt mich nun dorthin zurück. Gut, denke ich: Dann schreibe ich eben noch so lange weiter, bis mein Gönner gehen möchte.
Als ich kurz darauf zu dem Tisch schaue, an dem wir meine Übernachtung klargemacht haben, ist der gepflegte Herr nicht mehr zu sehen. Und das bleibt auch so.
Ich übernachte über dem Teehaus. Eingang von hinten, im Dunkeln. Keine Haustür. Rohbautreppe, Flur dito. Schließlich ein Zimmer, in dem man ein typisches Pennerlager hätte vorfinden können. Hier allerdings war es ein mit einiger Liebe und Sorgfalt hergerichtetes Lager mit frisch bezogenen Decken und einem Kopfkissen. Eine schwach glimmende LED-Arbeitsleuchte sollte die fehlende Elektrizität ersetzen; Klo, Waschbecken, Dusche gar gab es nicht. Geheizt war natürlich auch nicht.
Ich ging zurück ins Teehaus, mich in der Toilette zu waschen. Zurück an meinem “frischen Pennerlager” zog ich mir meine Schlafsachen an, ergänzte das Vorgefundene mit meinem Schlafsack und schrieb noch ein wenig für meinen Blog.
Inwieweit die muslimische Verpflichtung zur Caritas und die kritische Haltung zum Projekt Jerusalem-Hadsch hier zusammengekommen sind, oder ob ich den Wink des gut gekleideten Herrn missverstanden habe und er vielleicht mit mir aufbrechen wollte, während ich an meinen Tisch zurück ging, ist schwer zu sagen.