Am Beispiel meines Besuchs in Cluj konnte ich einmal mehr studieren, wie leicht sich bei mir eine zunächst unbemerkte Erwartungshaltung einschleichen kann – und wie die Folgen aussehen.
Ich hatte mich, anders als allen meinen bisherigen Stationen, Klausenburg genähert mit einigen Namen und einer Adresse im Gepäck; meine Pastorin hatte dort in ihrer “theologischen Frühzeit” zu tun gehabt und die Kontakte danach noch lange gepflegt. Irgendwie änderte das die innere Haltung, mit der ich auf die Stadt zumarschierte: Es legte sich der Hauch eines Gefühls von Nachhause Kommen über die bedingungslose Offenheit, um die ich mich sonst auf neiner Pilgerfahrt bemühe.
Als ich dann im Stadtzentrum angekommen war und feststellen musste, dass die Mail, die ich vorangeschickt hatte, nicht beantwortet worden war, hatte das eine gewisse “emotionale Irritation” zur Folge: Es passte nicht zu dem, was ich bis dato innerlich aufgebaut hatte…
Ich besann mich also auf meine ursprüngliche Vorgehensweise und klingelte am nächsten Pfarrhaus, dessen ich ansichtig wurde. Es war eines der Reformierten Kirche.
Dort wurde ich eingelassen und willkommen geheißen; alledings nur für den Augenblick. Mir ein Nachtlager zur Verfügung zu stellen sah man sich nicht imstande. Ich wollte eigentlich direkt weitergehen, um doch noch an der vorher bekannten Adresse mein Glück zu versuchen, doch die Idee des Pfarrers, dort einfach erst mal anzurufen, schien mir plausibel.
Es kam, was wohl kommen musste: Auch dort war man für die Nacht “ausgebucht”. Und der Pastor, im dessen Büro ich saß, versuchte sein beziehungsweise mein Glück noch bei der ein oder anderen Nachbargemeinde. Auf diese Weise kam ich dann bei einer der reformierten Kirchen des Außenbereichs unter. Ich hatte dort für zwei Tage eine Gastwohnung für mich allein: Küche, Bad, Wohn- und Schlafzimmer standen mir zur Verfügung.
Was aus meiner Sicht ein wenig fehlte, war zum einen der persönliche Anschluss: Ich war, nachdem man mich in die Gegebenheiten eingewiesen hatte, auf mich allen gestellt. Und: Es gab nichts zu essen…
Letzteres war ein lösbares Problem: Der Vizeprimar in Aschileu Mare hatte mir ja etwas Geld geschenkt, das ich jetzt im Magazin in Lebensmittel umsetzen konnte. Trotzdem hätte mich etwas mehr Kontakt doch gefreut. Und dass die Lutheraner weder mailten noch die Tür öffneten, als ich klingelte, hinterließ ein Gefühl der Leere und Einsamkeit. Letzteres in einer ganz anderen Klangfarbe, als ich es auf meiner Reise ja gewöhnt bin.
Mein Ruhetag, von dem ich viel erwartet hatte, verlief dann ganz anders als gedacht: Beim Schreiben waren mir Tisch und Stuhl furchtbar unbequem, sodass ich nach dem ersten Blogbeitrag solche Rückenschmerzen hatte, dass ich mich hinlegtre.Dann ging ich Essen kaufen und machte mich ans Kochen und Essen. Dann habe ich noch einmal kurz geschrieben – aber schon bald wieder mit Rückenschmerzen zu kämpfen gehabt und mich noch einmal flachgelegt. Und endlich habe ich mir noch ein paar Stunden die Stadt angesehen. Meine Stimmung war so schlecht, dass ich am liebsten gar nicht mehr weiterbloggen wollte.
Am Sonntag Morgen war ich dermaßen down, dass ich es noch nicht einmal fertig gebracht habe, meine Sachen zo zeitig zusammenzupacken, dass ich noch den Zehnuhr-Gottesdienst hätte besuchen können. So verließ ich dann das Haus um 11:30 – sehr nachdenklich und sehr an mir und meinem Vorhaben zweifelnd.
Erst beim Wandern wurde die Lage langsam besser. Ich ging bei Erreichen des Stadtrandes einen sehr steilen Weg die Hügel hinauf, durch genutzte, aber auch riesige verwilderte Apfelplantagen und durch Eis und Schnee. Die Aussicht auf Cluj-Napoca, die ich von dort oben hatte, war sehr eindrucksvoll. Allerdings war die “Beleuchtung” so schwach und wohl auch die winterliche Lufttrübung über der Stadt so ausgeprägt, dass Details nicht gut zu erkennen waren. Auf den Fotos wird das noch deutlicher sein.
Abwärts ging es die gut befahrene Hauptstraße , der ich dann auch bis Turda folgte. Sehr zügig vorwärts geschritten, gelang es mir, die gut 30 Kilometer trotz des späten Starts noch vor Einbruch der Dunkelheit zu bewältigen.
Die erste Kirche, bei der ich mein Glück versuchte, war die Reformierte. Das Pfarrhaus war entsprechend beschriftet, und tatsächlich öffnete sich auf mein Klingeln hin (jawohl, es gab eine Klingel) ein Fenster, und ein gut Deutsch sprechender Pfarrer streckte den Kopf heraus. Allerdings beschied er mein Anliegen abschlägig: Er habe leider kein Gästehaus…Ein, zwei Kilometer weiter, im Stadtzentrum, dann die katholische Kirche. Das Pfarrhaus für mich nicht zu erkennen. Und der Mann, den ich ansprach, hatte keine Auskunft zu geben, sondern bat um etwas Geld, um sich zu essen kaufen zu können. Ich gab ihm ein oder zwei Lei, erhielt ein “Sanatate, sanatate!” und setzte meine Suche fort. Beim nächsten Fragen hatte ich mehr Glück: Wir standen direkt vor der “Casa Parahoial”, und der Angesprochene wusste das auch.
Der Zugang zum Innenhof des Hauses war noch offen, und der Pfarrer, ein sehr sympathischer ungarischer Endvierziger, war über mich und mein Anliegen zwar überrascht, bat mich aber gleich herein und richtete mir ein Abendessen und ein Bett her. Das Vertrauen, das er mir entgegenbrachte, war so leicht nicht zu toppen: Er verließ das Haus kurze Zeit später, um zu einer Krankensalbung zu fahren – nicht ohne mir vorher noch die Erlaubnis erteilt zu haben, an seinem Rechner zu arbeiten!
Das Gespräch, das wir am Morgen führten (er hatte Deutsch in der Armeezeit von einem Kameraden gelernt – jeden Tag zehn Wörter – und macht jedes Jahr drei, vier Wochen Urlaubsvertretung in Bayern), war lang und intensiv. Es hat mich noch etwas tiefer in die Denkweise von Minderheiten unter den Bedingungen eines erstarkenden Nationalismus eingeführt. Der scheint hier trotz oder gerade wegen der EU-Mitgliedschaft zu blühen…
Ich finde es wunderbar, dass Deine Geschichten – pardon, Berichte natürlich – immer wieder ein happy end haben und dass du auch in verdrossener Stimmung dich zum Schreiben aufrappelst!
Herzliche Grüße und alle guten Wünsche
Dein Martin