Am 29.12. führte mich meine Reise von Jordanow nach Novi Targ. Dieser Weg war von bemerkenswerter Schönheit: Das Hügelland der Beskiden kontrastierte reizvoll mit dem sehr wechselnd bewölkten Himmel. Teilweise hieß es für mich, durch den Schnee zu stapfen. In einem Dorf konnte ich Zeuge werden, wie ein Hund einen Fuchs verscheuchte, der sich am hellen Tag in den Ort gewagt hatte, der Fuchs dann aber den Spiess umdrehte und auf den Hund losging – bis er mich bemerkte und über die Eisenbahnschienen hinweg das Weite suchte.
Eine sehr einfach gebaute Kirche auf einer Erhöhung direkt an der Straße stellte sich als eine Art Wallfahrtskirche heraus: Der Weg zu ihr war sehr deutlich markiert, und es gab einen Kreuzweg dahin mit den bekannten zwölf Stationen. Ausgangspunkt war eine steinerne Dorfkirche, die Kirche am Ziel habe ich von weitem eher als Schuppen angesehen… Nicht nur der Fußweg abwärts ins Dorf war sehr steil, sondern auch die Strasse aus dem Dorf hoch zur Fernstraße; 20% Steigung waren angezeigt.
In Novy Targ angekommen, war das erste Pfarrhaus dunkel. Bei der zweiten Kirche war dagegen sogar die Cancellaria geöffnet. Allerdings schrieb man mir da eifrig die Adresse eines Hotels auf… Als ich deutlich machte, dass das für mich mangels Geld keine Option sei und ich im Zweifelsfall mit dem wenigen Platz vorlieb nehmen könne, den mein Schlafsack und ich am Boden brauchen, war der Kirchenmann (wohl ein Vikar) ein wenig in der Zwickmühle. Er verschwand und kam nach wenigen Minuten mit einem stattlichen Pfarrer wieder, vom Typ her eine Mischung aus Bud Spencer und Morgan Freeman. Mit dröhnendem Bass donnerte der mich an: “Whats the Problem?” Ich beeilte mich, ihn anzulächeln und ihm zu versichern, dass es kein Problem gebe, dass ich aber mindestens einen Platz für meinen Schlafsack brauche. Das sei hier unmöglich, versicherte er. Für 100 Zloty gebe es nebenan eine Übernachtung, das sei nicht viel, etwa 25 Euro. Als ich ihm die Lage näher erklärte, wiederholte er meine Ausführung mit schwerer Betonung: “PILGRIM WITHOUT MONEY!”.
Er hängte sich ans Telefon, und nach wenigen Minuten verkündete er mir die frohe Botschaft, dass ich “u Anny” schlafen könne, nicht auf dem Boden, sondern in einem richtigen Bett, ohne Bezahlung. Ein junger Mann begleitete mich dorthin, und ich hatte ein weiteres Mal auf dieser Reise eine Art Hotelübernachtung. Da es dort aber kein Frühstück gibt, bekam ich noch 20 Zloty von meinem jugendlichen Begleiter in die Hand gedrückt für die “Bar” gegenüber. Danke!!!
Der naechste Morgen grüßte mit strahlendem Sonnenschein und klirrendem Frost. Bis ich auf Strecke war, zeigte die Uhr 9:30. Wenige Kilometer hinter Novy Targ fand ich neben der Strasse eine sehr starke Spur eines hundeartigen Raubtiers; ich habe sie mir gern als Wolf verbucht. Die Bilder, die den Vergleich mit meiner Hand, dem Rucksack und meinen eigenen Spuren zeigen, sprechen für sich.
Etwas weiter dann ein Wintersportort mit sehr vielen Menschen und Autos. Das Vorwärtskommen war dabei noch zusätzlich durch die nicht geräumten Gewege erschwert, da dort der Schnee weichgetreten war.
Schließlich kam das Hochgebirge in Anblick. Zunächst sehr im Dunst versteckt, dann immer näher und klarer. Es waren die bis zu 2150 Meter hohen Gipfel der Belianske Tatry oder Beler Kalkalpen, die Teil der Tatra und damit der Westkarpaten sind. Zwei, drei Nachmittagsstunden bin ich auf diesen Gebirgszug zugewandert. Dann musste ich entscheiden, ob ich gegen drei Uhr weiterwandere ins Gebirge und in die Slowakei… Ich habe dann – schon auf slowakischer Seite – jemanden gefragt, wie weit das nächste Kirchdorf entfernt ist. Die angekündigten acht Kilometer sollten von 16:00 Uhr an kein Problem sein.
Von da an ging es recht steil nach oben. Die verschneite Straße war nur mit dem Schneepflug glattgezogen und dann sparsam mit Split bestreut. Die untergehende Sonne verwandelte die Berge und den Himmel in ein sehr dezentes Schauspiel von, so mein spontaner Eindruck, geradezu überirdischer Schönheit. Der vollkommen klare Himmel spielte in den sanftesten Übergängen vom Gelborange über die unterschiedlichsten Blautöne ins Lila, Violett und Bleigrau. Dazu die Bergsilhouette und der Jupiter über den beiden Hauptgipfeln…
Es ging hoch bis auf 1030 Meter (GPS-Messung). Danach, immer noch mit dem herrlichen Berg- und Sternenanblick, abwärts nach Zdiarg, einem Wintersportdorf, bei dem gerade Hochbetrieb herrschte.
Die Quartiersuche, die sich anschloss, war allerdings weniger reibungslos als am Abend davor… Sie ist einen eigenen Beitrag wert.