Als ich am Montag, den 20.3. meine Tagesetappe nach Adana zur Hälfte absolviert hatte, bekam ich auf einmal das Gefühl, mich ein wenig beeilen zu sollen: Ich hatte die Absicht, die katholische Paulskirche zu besuchen und die Hoffnung, dort vielleicht auch einen Kontakt für eine gastfreundliche Aufnahme knüpfen zu können. Zeitlich lag ich aber nicht zu gut im Rennen: Es würde bei meiner Ankunft wohl 17:00 Uhr vorüber sein, wenn ich so weiterliefe, wie ich jetzt unterwegs war.
Ich legte also an Schrittfrequenz und -länge etwas zu, und tatsächlich war ich dann kurz vor fünf da. Das Tor zum Kirchhof war noch nicht versperrt, obwohl als Ende der Kirchenöffnungszeit 16:00 Uhr angegeben war. Im Hof gab es Tische und Bänke und einen Wagen, aus dem heraus wohl eine Bewirtung möglich ist – es gab sie an diesem Tag und zu dieser Uhrzeit aber nicht. Stattdessen erklärte mir der Mann, den ich dort antraf, die Kirche sei geschlossen.
Nun versuchte ich meinerseits, ihm zu klarzumachen, dass das das eine Problem sei – ein anderes, dass ich als Pilger hier sei und noch nicht wisse, wo ich übernachten solle. Das interessierte den Herrn aber nicht: Er betonte noch einmal, die Kirche sei nicht geöffnet, und verlangte meinen Pass zu sehen. Ich zeigte ihm meinen Personalausweis und meine Pilgerpapiere; letzteres machte aber keinerlei Eindruck. Stattdessen war plötzlich ein Polizist zur Stelle, und jetzt stellte sich auch heraus, dass die Persönlichkeit, mit der ich bisher verhandelt hatte, ebenfalls zur Polizei gehörte.
Ich hatte zu gehen. Direkt gegenüber dem Hoftor befand sich ein kleines Restaurant, in dem man ein offenes Ohr für meine Fragen und Bitten hatte und auch bereit war, für mich die Telefonnummer der Paulsgemeinde anzurufen. Und da brachte ich in Erfahrung, dass einer der Patres gerade gestorben war und der andere in Mersin die Beerdigung organisieren musste. Irgendeine Hilfe wäre für mich nicht möglich.
Nun, das war nicht, was ich mir erhofft hatte…Ein junger Mann aus dem Restaurant zeigte mir noch ein billiges Hotel, dann war ich wieder auf mich allein gestellt.
Der Preis, der mir dort genannt wurde, war sehr annehmbar. Ich hatte mir aber meinen Reisepass ins Adana Hostel schicken lassen – also musste ich auf jeden Fall dort hin. Der Pass war schon vor längerer Zeit im Hostel eingetroffen. Es waren aber alle Betten belegt, hieß es.
Dann allerdings gab es noch ein spezielles Angebot: Ich könne auch auf dem Sofa in der Kammer neben der Küche schlafen! Das habe ich dann getan.
Am nächsten Vormittag habe ich Tagebuch und Blog geschrieben. Dann habe ich beschlossen, mein Glück bei den Protestanten zu versuchen. Deren Kirche (fast hätte ich Anführungszeichen verwendet…) befindet sich in einem Wohnblock keine drei Kilometer vom Hostel entfernt. Es stellte sich heraus, dass es eine kleine, aber sehr aktive Gemeinde ist. Es war Dienstag und mitten am Tag, und doch habe ich zwei Leute im Gemeinderaum angetroffen. Ich wurde bewirtet, und am Nachmittag fanden sich einige junge Leute zusätzlich ein, die erst Bibelstudien betrieben und dann Karten spielten.
Es wurde für alle gekocht, und es fand ein gemeinsames Abendessen statt. Einer der Beteiligten war bereit, mich als Übernachtungsgast bei sich aufzunehmen: Batuhan, den ich schon am Nachmittag zusammen mit dem mexikanischen Pastor angetroffen hatte. Ich könne aber nur eine Nacht bleiben, meinte er, denn er fliege morgen nach Israel!
Er wohnt zusammen mit Volkan in einer Dreizimmerwohnung in einem alten Stadtviertel mit überwiegend zweistöckigen Gebäuden. Volkan werde ich noch näher kennenlernen: Er ist Deutschlehrer, was die Verständigung ungemein erleichtert, und außerdem der, der mir am nächsten Tag die Stadt zeigt – und mich noch eine zweite Nacht in der WG aufnimmt. Wir sprechen besonders auch über Gott und die Welt, und ich erbitte mir von ihm die Erlaubnis, hier in meinem mBlog zu veröffentlichen, was er mir über seinen Weg zum Christentum erzählt hat.
Volkan ist jetzt 26 Jahre alt – genauso alt wie mein jüngster Sohn Christof. Mit 19 Jahren hat er sich an der Universität einer religiösen Gruppe angeschlossen; die Art, den Islam zu leben, die er bis dato kennengelernt hatte, genügte ihm nicht. Die Methode, sich Gott zu nähern, die er nun erlebte, konnte ihn aber ebenfalls nicht überzeugen: Sie war geprägt davon, Regeln einzuhalten und die heiligen Schriften in der arabischen Originalsprache auswendig zu lernen, ohne sie wirklich zu verstehen. Und gar manches, was er an Regeln erfuhr, ging gegen seine innere Stimme: So etwa die Möglichkeit, vier Frauen zu ehelichen, oder die Vorschrift, einem Dieb die Hand abzuhacken.
Volkan wandte sich schließlich von der Religion ab und lebte, wie er sagt, jahrelang ein sündiges Leben. Zufriedenstellen konnte ihn das aber nie. Und so beschloss er eines Tages, Gott zu suchen – unbefangen und ohne irgendwelche Vorgaben.
Eine intuitive Eingebung führte ihn in dieser Phase seines Lebens zur protestantischen Kirche Adanas. Was er hier erlebte, was er in der Evangelienarbeit erfuhr, und vielleicht am meisten: was er an Änderung an sich selbst erlebte, war so stark uind überzeugend, dass er sich bald taufen ließ und seither ein überzeugter Christ ist. Er weiß davon zu berichten, dass er, seit er sich in dieser Weise mit Gott verbunden hat, zum Beispiel nicht mehr schimpft oder böses über andere Menschen redet oder denkt. Und tatsächlich hat Volkan auch auf mich einen gelassenen, in sich ruhenden Eindruck gemacht – von missionarischer Besserwisserei oder Überheblichkeit keine Spur. Das gilt auch da, wo er ganz anderer Auffassung ist als sein Mitbewohner Batuhan oder ein amerikanischer Freund und Glaubensbruder – mit dem zusammen wir abends noch etwas gegessen haben – nämlich bei der Interpretation von Paulus’ Ausführungen über die Ehe im ersten Korintherbrief.
Volkan habe ich als einen Menschen kennengelernt, der sehr eindrucksvoll auf dem Weg ist. Übrigens hat er auch einen Drang danach, diesem Auf-dem-Weg-Sein einen äußeren Ausdruck zu geben: Er träumt davon, zu Fuß Südamerika zu bereisen. Die nötige Ausrüstung hat er sich schon beschafft…
Ich hoffe, meinem neuen Freund mit dieser Darstellung nicht Unrecht zu tun! Vielleicht werde ich sie noch ergänzen oder korrigieren müssen…