Neue Übernachtungen

Fotos: https://goo.gl/photos/zkvSNY9mB2kFxrxh7

In Taskesti habe ich vorgestern eine Übernachtung gehabt; gestern habe ich in Doyalüz bei Mudurnu geschlafen. Dabei habe ich neue Facetten des Pilgeralltags kennengelernt:

In Taskesti kam ich recht spät an; es dämmerte schon sehr deutlich. 

Meine erste Anlaufstelle war eine Gruppe von Männern an einer Autowaschanlage. Dort zeigte ich nicht nur meinen Pilgerbrief vor, sondern auch den “Spezialzettel”, den Abdul’valid mir geschrieben hat. Und tatsächlich interessierte sich einer der Männer für das Geschriebene, las und zückte das Handy, um Abdul anzurufen. Als das nach zwei oder drei Versuchen schließlich klappte, gab er mir das Telefon recht bald weiter. Abdul war für mich praktisch nicht zu verstehen, aber ich für ihn wohl schon. Ich sagte ihm aufs Geratewohl, dass ich dabei sei, eine Schlafgelegenheit zu suchen und gab das Handy zurück. Es ging noch zweimal hin und her, dann hatte ich verstanden, dass der Waschanlagenmann wohl etwas für mich hatte. 

Ich sollte mitkommen. Die Strecke war übersichtlich: Es handelte sich um die 10 Meter, die uns von einem Schuppen neben dem Waschstand trennten.

 Hinter der Tür des Schuppens befand sich ein zusammengerolltes und geknicktes Stück PVC-Bodenbelag, darunter lag eine Bohrmaschine. Das eine oder andere Gerümpel fand sich neben einem kleinen Couchtisch, und an einer Hakenleiste hing diverse Arbeitskleidung an der Wand.

 Mein Gastgeber legte mir eine Matratze auf den alten Teppichboden, die dort auch gerade so Platz hatte – nachdem wir den Tisch verschoben und oben erwähnte Artikel in die Ecke daneben verfrachtet hatten.

Ich war natürlich froh, nicht nichts als Übernachtungsmöglichkeit zu haben. Etwas luxuriöser hätte es in diesem Augenblick aber durchaus sein dürfen… Da mich der “Boss” der Anlage zum Essen auf das Ortszentrum verwiesen hatte, machte ich mir durchaus noch Hoffnung auf ein “upgrade”; ich hatte ja eigentlich noch garnicht so richtig zu suchen begonnen.

Nach etwa einer oder eineinhalb Stunden Akquise-Bemühungen hatte ich zwar eine Plastiktüte voll geschenktem Essen und Trinken in der Hand, der Schuppen allerdings war in dieser Nacht unvermeidbar. Auf mein mehrfaches Fragen nach einer Waschmöglichkeit für mich zeigte mir Osman, der Car Wash-Besitzer, die Moschee nebenan mit ihrer öffentlichen Toilette.

Leider war hier das warme Wasser abgestellt – das hatte ich auf dem Weg nach Istanbul neben dem Teehaus schon günstiger erwischt gehabt. Aber man kan sich ja auch mit kaltem Wasser waschen. Der Laden gegenüber war noch geöffnet (mittlerweile war es 22:00 Uhr), und der Besitzer nebst seinen beiden Söhnen hatte nichts dagegen, dass ich bis gegen Mitternacht mein Handy an seiner Steckdose auflud. Dumm war an der Sache nur, dass ich solange wach bleiben musste – einen Wecker hatte ich ja nun nicht mehr. Und: Das Licht im Schuppen tat nicht, weil die Zuleitung einen Wackelkontakt hatte…

Ich habe den Ladenschluss aber trotz alledem nicht verschlafen. So konnte ich mich kurz nach Mitternacht in meinen Schlafsack wickeln, um dem nächsten Morgen entgegen zu träumen.

Schon die Nacht war nicht ganz so, wie ich es mir gewünscht hatte: Es zog beachtlich unter der Schwelle in den Schuppen hinein und zu den Wandritzen wieder heraus; der Regen, der mittlerweile eingesetzt hatte, trommelte aufs Dach, und die Gegend erwies sich nicht als die ruhigste, was Autos, Stimmen und Hundegebell aus nächster Nähe anging.

Aber auch diese Nacht ging irgendwann vorüber. Geträumt hatte ich davon, dass meine Sachen alle nassgeregnet wären – was – Allah ist groß! – nicht der Realität entsprach; das Schuppendach hatte dicht gehalten. Und als ich endlich abmarschbereit war ( die Uhr zeigte bereits viertel vor zehn; ich hatte mich noch im Laden aufgewärmt und mein Cellphone weiter aufgeladen), hatte es doch wirklich aufgehört zu regnen. Ich sag’s ja: Allahu’akbar!

Der gestrige Sonntag hielt dann eine sehr schöne Besonderheit für mich bereit. Ich war etwa 10 Kilometer weit vorgestoßen; die Straße stieg von Taskesti aus leicht an. 

Ich sah etwa 20 Meter links der Straße einen Mann und eine Frau sich mit dem Fällen eines Baumes abmühen. Der Stamm war wohl im Wesentlichen durchgesägt, aber der Baum wollte nicht fallen, schon garnicht in die richtige Richtung: Seine Krone hatte sich mit der des Nachbarbaums verhakt. Und dabei hatte sich auch noch die Motorsäge im Sägeschlitz verklemmt. Erst versuchte die Frau, den Baum in die richtige Richtung zu drücken, dann der Mann. Ich näherte mich den beiden, um meine Hilfe anzubieten, aber der Mann winkte ab. Er setzte sich auf den Traktor, der etwas weiter weg stand, und war offensichtlich gewillt, das Problem mit Hilfe dieses Geräts zu lösen. Ich selbst ging wieder auf die Straße.

Nach etwa zehn Metern rief mir jemand von der anderen Seite der Straße zu: Dort hatte eine Bauernfamilie ihren Hof, und der Bauer hatte mich gesehen, obwohl ich auf der Hangseite der Straße ging und der Hof sich auf der Talseite befand. Er kam die Böschung heraufgekraxelt, fragte, woher ich käme und lud mich zum Tee ein. 

Die Einladung bezog sich zunächst auf die Sitzgelegenheiten im Freien. Nach dem Tee und einer etwas mühsamen Verständigung gab es noch Kaffee, und dann war das Mittagessen fertig. Ich wurde ins Haus gebeten und durfte zusammen mit dem Großvater, der Mutter, dem Vater und den beiden Söhnen, 10 und 13 Jahre alt, das gemeinsame Mittagessen genießen. Es gab Suppe, Kichererbsen, Reis, Salat und eine Teigwarenangelegenheit in Sahne-Yoghurt-Sauce, und als Nachtisch einen Biscuit-Schokocreme-Kuchen. Durchweg sehr ansprechend zubereitet, auch für meinen Gaumen.

Gegen Abend wurde die Straße dann sehr viel steiler, und Google Maps nährte meinen Verdacht, dass ich im nächsten Dorf dringend ein Nachtlager auftun sollte, um nicht fern jeder menschlichen Behausung nächtens durch die Berge wandern zu müssen: Das malerisch am Hang gelegene Doyalüz schien der letzte Ort viele Kilometer vor der nächsten Bergkette und dem Pass zu sein, zu dem sich die Straße hinauf wand. 

Aus der Nähe betrachtet, handelte es sich um ein ausgesprochen armes Dorf, wie ich es hier wohl so noch nicht gesehen habe.

Am ersten Haus traf ich eine vierköpfige Familie bei emsiger Arbeit im Hof an. Nachdem ich mein Anliegen verständlich gemacht hatte, verwies man mich an die Moschee. Ein alter Mann, den ich dort traf, bedeutete mir allerdings, es gäbe keine Möglichkeit, die Nacht hier zu verbringen. Also ging ich weiter. Doch als ich am letzten Haus des Dorfes durch das wütende Gebell der drei oder vier Hunde, die sich dort im Hof langweilten, schließlich doch noch jemanden zu Gesicht bekam, wurde ich wieder zur Moschee zurück geschickt – dort könne ich, ganz sicher!, schlafen.

Tatsächlich fand ich jetzt eine unverschlossene Tür zu einer Art Gemeinderaum, mit zwei Sofas, einer umlaufenden, mit Matratzen belegten Bankreihe und einem Blechofen in der Mitte. Ein Klapptischchen war auch vorhanden (nicht zu unterschätzen, nicht nur zum Essen, sondern vor allem auch, um rückenschonend und ausdauernd sitzen und schreiben zu können!). 

Ich packte das Essen und Trinken aus, das ich vom Ladenbesitzer aus Taskesti mitgebracht hatte, und aß Cracker, Kekse und Biscuitkuchen. Auch Wasser hatte ich noch. Danach machte ich mich ans Schreiben.

Und dann klopfte es: Die beiden Kinder der Familie vom Ortseingang brachten mir eine Tüte, darin: Drei heiße, in der Glut gegarte Kartoffeln, ein Schälchen mit Hühnerbruststreifen (gerissen, nicht geschnitten), ein Glas mit sauren Gurken und Pepperoni und eine Flasche Wasser! Nun, unter den Umständen konnte ich auch noch weiteressen…

Es gab ein ungelöstes Problem: Es war kalt. Neben dem Ofen befanden sich nur noch eineinhalb Scheite Holz. Und ob ich einfach aus dem Gärtchen an der Moschee welches holen und damit den Gemeinderaum heizen durfte, nur für mich allein, wusste ich natürlich nicht. Ich hatte mich ein wenig in meinen Schlafsack gehüllt und die Vorstellung gepflegt, ohne Feuer auszukommen, doch die Finger wurden mir beim Schreiben immer kälter und kälter. So habe ich mich endlich doch zum Feuermachen entschlossen. 

Als ich noch damit beschäftigt war, Asche aus dem Blechfassofen zu kratzen und Holz mit Papier hineinzuschichten, kam ein älterer Mann zur Tür herein. Er musterte mich zwei, drei Sekunden lang kritisch, hörte sich nur kurz und halb an, was ich über mich zu sagen hatte, und dann legte er los:

Er klappte das Blechtürchen zu, stieß den Fassdeckel auf, füllte das Fass ratz, fatz mit sämtlichen Holzscheiten, die ich aus dem Garten geholt hatte, verschwand für eine Minute und kam mit einem Gasbrenner wieder. Die Werbebriefe und Rechnungen, mit denen der Papierkorb neben dem Schuhregal der Moschee gefüllt war (das Regal dient gleichzeitig als Sammelbriefkasten des Dorfes) warf er oben auf das Holz, hielt den Brenner für Sekunden daran, der Deckel kam drauf, einige Sekunden länger fauchte die Brennerflamme unten zum Ofentürchen rein – und der Ofen begann eindrucksvoll zu Bullern. Ich wurde noch kurz instruiert, das Außenlicht brennen zu lassen (oder auch nicht; genau vestanden hab ich’s nicht…), dann war mein Helfer wieder verschwunden.

Nach ganz wenigen Minuten breitete sich eine angenehme Wärme im Raum aus. Leider hielt die nicht allzu lange: Das Blechtürchen und seine Öffnung im Blechfass waren so verzogen, dass die Luft praktisch ungehindert hereinziehen konnte. Ich wusste dem Mikro-Feuersturm im Ofen nichts entgegenzusetzen, und das trockene Nadelholz brannte fast strohfeuergleich herunter.

Zwischenzeitlich hatte ich die Toilette an der Moschee inspiziert (im Haus gab es keine). Zu meinem großen Frust war dort das Wasser abgestellt; die hygienische Lage spitzte sich also zu. Ich beschloss, wenigstens für gut getrocknete Stiefel und Socken zu sorgen und legte in die Restglut meines “Schnellfeuers” noch einmal eine Ofenfüllung Holz.

Das allerdings hätte ich fast noch ernsthaft bereuen müssen: Bei sehr gut vorgewärmtem Ofen, Ofenrohr und Zimmer entwickelte das verformte Blechding mit dem Feuersturm im Bauch in kürzester Zeit eine so infernalische Hitze, dass ich, gut zweieinhalb Meter entfernt sitzend, der Strahlungswärme aus dem Weg gehen musste. Das Sofa, das ich mir zum Schlafen auserkoren hatte, war aber nicht mal einen Meter entfernt… Der hellrot glühende, schon löcherige Fassofen selbst stand auf einem kleinen Holzpodest, und dieses auf den hier unvermeidlichen Teppichen. Wenn der Ofen jetzt in sich zusammensackte und die Umgebung Feuer fing?! Wasser gab es ja, wie erwähnt, keines…

Der ganze Raum hatte sicher schon Saunatemperatur.Ich hiefte schleunigst das Sofa aus der Gefahrenzone und öffnete die Tür. Das Feuer brauste noch eine Weile weiter – und dann wurde es still, fast genauso schnell, wie es mit dem Brausen begonnen hatte. Das Ofenblech war alsbald nicht mehr rot, sondern wieder schwarz. Und im Raum wurde es genauso schnell wieder kühl, wie in der Wüste nach Sonnenuntergang.

Ich atmete durch, beendete meine schriftlichen Arbeiten, bereitete mich zum Schlafen vor und legte drei Scheite Holz in die heiße Asche. Die würden zumindest den Beginn der Nacht noch etwas wärmer gestalten… Dann kroch ich in meinen Schlafsack. Gut, dass ich ein waschbares Innenteil auf meine Reise mitgenommen habe! Die versäumte Abendtoilette konnte ich erst unterwegs am Brunnen nachholen.

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