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Am 20.2. bin ich im Regen vom “Polizei-Schullandheim” aus losgelaufen. Am Anfang war das noch kein besonderes Problem – ich hoffte darauf, dass das Wetter besser würde. Stattdessen wurde der Regen stärker. Ich machte hier und da eine Pause, nicht nur, um dem himmlischen Nass für eine Weile zu entkommen, sondern auch, um endlich eine neue Speicherkarte für mein Handy zu besorgen. Das stellte sich aber als nicht ganz einfach heraus: Die Angebote im Handyshop waren durchweg inakzeptabel, und als ich endlich am Ziel zu sein glaubte, nämlich im Media Markt, stellte sich heraus, dass auch das Angebot dort sehr zu wünschen übrig ließ. Mit Abstand der beste Deal schien mir die Aktion bei 101, dem türkischen Discounter zu sein. Nur: Es war einfach kein Markt zu finden, der die Karte auch wirklich hatte!
Ich kam ganz miserabel vorwärts: Beine, Rucksack und Herz waren heute ausgesprochen schwer. Irgendwann gelangte ich in eine Straße, die mit Planen recht gut überdacht war, um den Wochenmarkt darunter zu schützen. Ich dachte mir: O.k., wenigstens für eine kurze Strecke kein Regen! Und dann wollte der Markt einfach kein Ende nehmen – es war erstaunlich. Es war mittlerweile schon Nachmittag geworden, und ich fragte mich, was die ganzen Händler nun mit ihrer nicht verkauften Ware machen würden; insbesondere die Fischverkäufer…
Schließlich kam ich dann doch am anderen Ende des Marktes an. Nun hatte ich wieder freien Blick auf alle Geschäfte und also auch auf die 101-Märkte und die Handy-Shops. Davon gab es in der Gegend, in der ich mich bewegte, reichlich. Aber niemand hatte, was ich suchte. Nach einiger Zeit stellte ich mich innerlich darauf ein, dass nun eine andere Gegend beginnen würde, mit weniger oder gar keinen Geschäften mehr. Stattdessen ging es genau so weiter, wie ich es in den Stunden zuvor erlebt hatte…
Und dann gab es sogar wieder einen Wochenmarkt! Und ein Hähnchen- und Eiergeschäft, das Jubiläum feierte, war auch zu sehen – ganz ähnlich, wie ich es schon kannte… Wirklich ähnlich?!? Nein: Genauso! Hier war ich schon gewesen, aus der anderen Richtung kommend nämlich. Ich musste, ständig die Straßenseite wechselnd und von einem Laden in den anderen gehend, irgendwann in die falschen Richtung abgebogen sein, als ich aus einem der Geschäfte kam!
Das hatte gerade noch gefehlt.Mein Eindruck war ohnehin, dass ich es auch an diesem Tag sehr schwer haben würde, eine Unterkunft zu finden. Und nun war ich kilometerweit zurückgegangen! Sehr gedämpfter Stimmung, aber schicksalsergeben ging ich weiter, die Strecke entlang, die ich schon einmal “abgearbeitet” hatte.
Tatsächlich zeigte sich die Fortsetzung der Strecke dann so, dass die Hoffnung darauf, hier eine Unterkunft zu finden, schon recht kühn erschien: Erst teure Neubaublocks, und dann Industrie, Gewerbe, Müllkippen, Brachland. Vor diesem Hintergrund hielt auf eimal neben mir ein Auto an, und der Fahrer wollte meine Erklärungen, warum ich nicht mitfahren könne, einfach nicht verstehen. Er bestand darauf, dass ich einstieg.
Ich habe keine Ahnung, was mich in dieser Situation dazu veranlasste, meinen Grundsätzen untreu zu werden. Es war noch nicht einmal 17:00 Uhr, und damit noch reichlich Zeit, weiterzulaufen, auf dem Weg nach Unterkünften zu fahnden und vielleicht noch ein erfolgversprechenderes Stadtviertel zu erreichen. Wie auch immer: Ich bin wirklich mitgefahren.
Zunächst ging es in “meine” Richtung. Die Verständigung über den Translator war mühsam, und dass der Autofahrer während der Fahrt ins Handy tippte, war schon eine nervliche Herausforderung für mich. Bald aber bogen wir ab, und jetzt fuhren wir nach Süden und sogar nach Westen. Ich bekam ein großes Chicken-Ekmek mit Ayran, und irgendwann hielt mein Fahrer an. Nun vertieften wir unsere Bekanntschaft dahingehend, dass er jetzt das Problem mit der Übernachtungsmöglichkeit zu verstehen begann. Er überlegte, dann telefonierte er. Letztendlich übersetzte mir sein Sohn am Telefon, dass mich sein Vater zu einem sehr billigen Hotel bringen könne und mir helfen wolle.
Angesichts meines doch recht angeschlagenen Zustands war mir das doch sehr recht.
Wir setzten unsere Fahrt nach Westen fort, in die Richtung also, aus der ich gekommen war, und als wir eine ganze Reihe von Kilometer weiter von meinem Ziel entfernt waren, als zum Zeitpunkt meines Einstiegs ins Auto, hatten wir erreicht, was für heute meine Herberge werden sollte. (Randnotiz: Der Routenplaner wies mir später einen niederschmetternden “Tages-Nettogewinn” von sieben Kilometern aus…)
Ein größeres, mittelaltes Gewerbehaus stand vor uns. Über eine lange Außentreppe erreichte man ein Treppenhaus, dessen erste Etagen nicht einsehbar waren. Dann kam eine Etage, die – das konnte ich im Vorbeigehen erkennen – mit lauter neueren und sehr soliden Eingangstüren versehen war. In der Etage darüber dann ein anderes Bild: Ein Flur, ausgelegt mit altem PVC, Schüsseln auf dem Boden, um das herabtropfende Wasser aufzufangen. Alte Türen, und dahinter: Ein unglaublich heruntergekommenes , winziges Bad mit Dusche und einem Waschbecken. Daneben ein ebensolches Hockerklo. Dann ein schummriges, verrauchtes “Wohnzimmer”, aus dem sich nach kurzem Wortwechsel zwischen meinem Fahrer und einem der Anwesenden der offensichtliche Boss des Etablissements erhob und mich in das Zimmer gegenüber führte. Dort gab es: Ein Fenster von etwa einem Quadratmeter in einer auf der Hälfte der Fläche verschimmelten Wand; neben dem Eingang einen Wasserkocher; in der Ecke gegenüber eine Gasflasche mit Kochaufsatz; und: sechs Stockbetten, also zwölf Schlafgelegenheiten… Das Ganze auf einer Fläche von vielleicht 25, höchstens 30 Quadratmetern.
Ausgelegt war das Zimmer mit uraltem Teppich. Landestypisch wurden die Schuhe am Eingang ausgezogen, und gegessen wurde, mit einer Lage Zeitungspapier als Unterlage, auf dem Boden. In, an und unter den Betten hatten die Bewohner irgendwie ihre Habseligkeiten untergebracht…
Es war die mit Abstand heruntergekommenste Absteige, der ich je begegnet bin, nicht nur auf meiner Reise nach Jerusalem, sondern überhaupt. Und dennoch schien es den Männern zu gelingen, sich und ihre Kleidung irgendwie sauber zu halten: Der Geruch des Schimmels war der einzig wirklich störende, den ich feststellen konnte.
Einer der Männer teilte mit mir in aller Selbstverständlichkeit sein Abendessen (ich hatte sogar den Eindruck, dass er selbst weniger aß, als das, was er mir förmlich aufnötigte). Dazu hatte er mich extra geweckt… Ruhe gab es erstaunlich spät: Erst weit nach Mitternacht waren alle in ihre Betten gekrochen. Und morgens zwischen sieben und acht Uhr verschwanden die meisten zur Arbeit.
Auch ich machte es genauso. Meine Arbeit bestand zunächst darin, meinen Kram zusammenzupacken, meine leider noch nicht ganz trockenen Socken am Rucksack zu befestigen, und mich dann in meinen leichten Laufschuhen auf den Weg zu machen. Nach etwa einer Stunde kam ich an einen großen Friedhof, der mir bekannt vorkam: Ich hatte ihn am Vortag von einer anderen Seite aus erreicht. Die folgende halbe Stunde hatte ich einen bekannten Weg vor mir, und dann erreichte ich die Stelle, an der ich am Vortag ins Auto gestiegen war. Nun begann die eigentliche Tagesetappe…