Nach dem ausgefallenen Frühstück bei Reg machte ich mich bei schönstem Winterwetter auf den Weg. Ich war spät dran (10:00 Uhr vorbei), doch Rasgrad, etwa 35 Kilometer entfernt, würde ich noch erreichen können – möglicherweise bei Einbruch der Dunkelheit. Und so war es dann auch. Die letzten Kilometer zogen sich unheimlich hin… Und als ich zu Beginn des eigentlichen Stadtkerns von Rasgrad an der Tankstelle nach der Kirche, einem Kloster, einer Moschee fragte, war es bereits dunkel.
Es fand sich ein Mitarbeiter, der sehr gut Englisch sprach. Man beriet sich in der Tankstelle lang und breit, zog die Wandkarte zu Rate und bot mir schließlich an, mich zur Kirche zu bringen. Wie man an die Adresse und die Telefonnummer des Priesters kommen könnte, wusste man aber nicht.
Ich marschierte schließlich wieder los, obwohl ich das Gefühl hatte, dass die an der Diskussion beteiligte ältere Frau vielleicht noch nicht ganz am Ende ihrer Möglichkeiten war… Ihr Gesicht hatte im Laufe der Überlegungen einen so besorgten Ausdruck angenommen, dass ich dachte: Wenn ich jetzt einfach dabliebe, würde sie vielleicht so lange herumtelefonieren, bis sie jemanden gefunden hätte, der mich beherbergt. Das hätte aber den Beigeschmack einer gewissen Nötigung gehabt. Lieber hoffte ich auf eine Lösung ohne solchen Druck.
Ich ging also weiter, im Kopf die Idee der Kirchenübernachtung, flankiert von dem Gedanken an eine weitere Hotelnacht bei Nichteintreten des Erwünschten.
Ich konnte allerdings keines der billigeren Hotels finden – nur das große Haus am Platz. Auch ein Priester war nicht in Reichweite. Ich versuchte schließlich, über das Handy ein Hostel zu finden – was sich als völlig unmöglich herausstellte: Ich hätte zwar fast überall auf der Welt ein Hostel haben können, am besten gleich buchen, für März, April… – aber nicht hier, und nicht für diese Nacht.
Schließlich gab ich einfach bei Google Maps “Hostel Rasgrad” ein – und die Navigation schien mir sagen zu können, wo ich richtig bin. Nach kurzer Zeit war ich dem repräsentativen Hotelturm in der Sichtachse der Zentrumsmeile aber verdächtig nah…
Da kam ich an einem Kleinlaster vorbei, der sich an einer steilen Abzweigung rückwärts an einem Schnee- und Eishaufen “gefangen” hatte. Ich fragte, ob ich helfen könne. Und da stellte sich heraus, dass der Fahrer lange in Bremen gearbeitet hatte. Wir unterhielten uns eine Weile, während wir auf zwei, drei Freunde des Fahrers warteten, die dieser telefonisch herbestellt hatte. Und schließlich arbeiteten wir zu viert daran, das Ding wieder flott zu kriegen. Dazu trugen wir mit Hacke und Schaufel einen wesentlichen Teil des “Eisbergs” ab – aber nur fast genug, denn beim Versuch, rückwärts am Restberg vorbeizufahren, wurde das hübsche Nutzfahrzeug noch mehr beschädigt – und blieb wieder hängen. Nach einer weiteren Hackeinlage hatten wir endlich Erfolg.
Der Fahrer hatte im Vorfeld Optimismus verbreitet, was eine Übernachtungsmöglichkeit angeht. Jetzt gingen wir ein paar hundert Meter bis zu einem kleinen “Kneipenkaffee”, das wohl von der Mutter eines der Beteiligten betrieben wurde. Dort bekam ich einen heißen Tee. Dann begannen der Fahrer und der emsigste “Schaufler” damit, Karten zu spielen. Irgendwann hakte ich nach – und es stellte sich heraus, dass auch die Freunde keine Lösung für mich und mein “Problem” hatten… Man begann zu telefonieren und sagte mir dann, gleich käme ein Taxi, das mich zu einer günstigen Pension fahren würde – 15 Euro für die Nacht. Das fand ich jetzt nicht optimal: Erstens wollte ich nicht mit dem Taxi fahren (das, nebenbei, noch einmal extra gekostet hätte), und zweitens hatte ich doch sehr auf eine Privatunterkunft gehofft. So wurde das Taxi wieder abbestellt, und ich bekam einen Zettel in die Hand gedrückt, auf dem, wie man mir mitteilte, auf Bulgarisch so etwas stehen sollte wie: Ich suche eine billige Pension. Damit marschierte ich los Richtung Zentrum.
Dort angekommen, wies man mir tatsächlich den Weg. Nur fand ich an der angegebenen Stelle kein Hostel und keine Pension… Ich fragte an Ort und Stelle in einem geschmackvoll eingerichteten Restaurant nach. Und ein junger Mann aus der einzigen Gruppe von Gästen zog sich nach kurzem Überlegen die Jacke an, um mit mir loszugehen und mir ein billiges Hotel zu zeigen. Wir marschierten los – aber ganz woanders hin, als ich es erwartet hatte. Am Ziel angekommen, verweigerte uns der Portier den Einlass. Es schien sich um eine Art “Hotel-Internat” zu handeln. Und da nützte auch das beste Verhandlungsgeschick meines neuen Freundes Dimitar nichts: Selbst wenn der Präsident Amerikas käme, gebe es für ihn hier keinen Platz, war die Auskunft des pflichtbewussten Eingangswächters.
Wir gingen jetzt wieder zurück ins Restaurant. Eine kurze Beratung unter den Freunden schien eine Lösung gebracht zu haben, denn wir machten uns erneut auf die Socken. Der Weg (diesmal deutlich länger als unser erster Gang) führte uns zum zweitbesten Hotel am Platz: Hier kostete die Nacht 25 Euro; der “Prunkturm”, in dem ich spaßeshalber auch gefragt hatte, sollte dagegen vergleichsweise preiswerte 30 Euro für den “Standardroom” kosten… Auf einen “Deal” mit reduziertem Preis, den Dimitar anstrebte, ließ sich der Portier aber nicht ein.
Wir machten uns wieder auf und versuchten unser (mein!) Glück noch etwas weiter weg: Da hatten Dimitars Freunde ihm noch ein Hotel beschrieben. Mir war längst sehr unangenehm, dass Dimitar für mich so weit in der Gegend herumrannte, anstatt den Abend mit seinen Freunden zu verbringen – und es störte mich, dass ich mich nicht durchgesetzt hatte mit der Idee, noch ein wenig nach der preiswerten Pension zu suchen, die ja immer noch in der Nähe des Restaurants zu finden sein musste. Nun, das Billighotel, das wir nach längerer “Irrfahrt” tatsächlich fanden, wollte immer noch 20 Euro für die Nacht. Ich hatte 15 Euro als Grenzwert angegeben.
Als wir wieder draußen in der nächtlichen Kälte standen, ging ich davon aus, dass jetzt die Pension angegangen würde. Doch Dimitar erklärte sich stattdessen bereit, mich in seinem bescheidenen (wirklich…) Domizil zu beherbergen! Das war allerdings eine sehr positive Überraschung. Ich dachte: Warum denn nicht gleich so!, und sagte gerne zu.
Bis wir bei meinem Gastgeber zuhause angekommen waren, gegessen und geduscht hatten, war es 0:45. Wir fielen beide ins Bett und schliefen sofort ein. Um 5:45 klingelte dann der Wecker des Hausherrn – der allerdings keine Anstalten machte, ihn abzuschalten. Schließlich übernahm ich das – und von da an alle 10 Minuten bis um 6:30. Von diesem Zeitpunkt an wurden die Intervalle wesentlich kürzer. Um zehn nach sieben stand ich auf; Dimitar folgte gegen halb acht…
Wir hätten also problemlos eineinhalb Stunden länger schlafen können! Um 8:00 Uhr war Dimitar aufbruchbereit – ich auch fast… Das Zusdammenpacken musste jetzt schnell gehen. Draußen auf der Straße haben wir uns herzlich verabschiedet, Dimitar ist Richtung Arbeit entschwunden – und ich habe die 50 Kilometer nach Schmyadowo in Angriff genommen.