Ich möchte hier den (zugegebenermaßen riskanten) Versuch machen, eine kleine Collage an Erfahrungen zu erstellen, die ich bislang mit den Zigeunern hier und auch schon in der Slowakei gemacht habe – und mit der Haltung der Nichtzigeuner im Land; darin eingeschlossen besonders auch meine eigene…
So, wie ich diesen Beitrag überschrieben und begonnen habe, muss ich natürlich erst einmal auf die Bezeichnung “Zigeuner” eingehen. Dass man sie hier nicht Roma oder Sinti nennt, wusste ich schon seit Jahren. Auch eine gewisse “Reserviertheit” gegenüber dieser Ethnie konnte mir nicht verborgen bleiben. Inzwischen habe ich mehrfach die Gelegenheit gehabt, zu versuchen, mein Verständnis zu diesem Themenkomplex zu vertiefen.
Gestern etwa habe ich vor einem “Magazin Mixt” nach dem Haus des Pfarrers gefragt und bin mit zwei, drei Anwesenden ins Gespräch gekommen. Sie haben mir, so gut es eben bei meinen mangelnden Rumänischkenntnissen möglich war, erklärt, was sie wussten; dann hat sich der eine von ihnen nicht nur mit seinem Namen, sondern zusätzlich als “Cigan” vorgestellt – in aller Selbstverständlichkeit. Ohne Stolz, ohne Minderwertigkeiskomplex, soweit ich das beurteilen konnte. Aber: Es war ihm wichtig, das zu erwähnen. Und zwar eben als Zigeuner, nicht als Rom.
Eine ganz andere, interessante Facette habe ich bei Marin im Fernsehen gesehen: Da gab es eine farbenprächtige Daily Soap, bei der es, wie mir mein Gastgeber erläuterte, um die rumänischen Zigeuner gehe. Bei seiner Aussage (“Ce sont des Ciganes Romaneste!”) meinte ich aber, einen schwer beschreibbaren Unterton festgestellt haben zu können. Leider konnten wir nicht vertiefen, ob die Serie vielleicht von Zigeunern produziert wird? Mein Eindruck – höchst äußerlich, an den Bildern orientiert, da ich, wie gesagt, des Rumänischen nicht mächtig bin – war der einer Art “GZSZ” rumänischen Zuschnitts.
Einer meiner Gastgeber auf dieser Rumänienreise hat mir über Google Maps mehrere von großen Zigeunerfamilien errichtete Häuser in der Gegend gezeigt (“Gipsy’s palaces”). In der Tat handelte es sich um eindrucksvolle Bauwerke. Seiner Überzeugung nach wird das Geld für solche Projekte ausschließlich durch Betteln erworben. “Gipsys in Romania don’t work!”, war seine klare Aussage.
Meine bislang schon geschilderten Erfahrungen bei persönlichen Begegnungen haben auf der Wanderung zwischen Curtea de Arges und Bascov noch eine deutliche Vertiefung und Verstärkung erfahren. Und zwar in Richtung einer für mich ungewohnten und sehr unangenehmen Distanzarmut, wenn ich das so schreiben darf…
Ich war im Randbereich einer Ortschaft unterwegs und habe unbefangen und offen im Vorübergehen die Häuser betrachtet, unter anderen auch solche, die an den vielen bunten über den Zäunen hängenden Teppichen und den auf den Leinen flatternden Wäschestücken unschwer als Häuser von Zigeunern zu erkennen waren. Das bemerkten einige Kinder und Jugendliche, und sie rannten – darin den aufmerksamen, in ihrem aggressiven Übereifer aber durchaus etwas neurotisch zu nennenden Wachhunden Siebenbürgens nicht ganz unähnlich – als eine geschlossene “Meute” in meine Richtung, schon von Weitem mit Betteln beginnend. Bei mir angekommen, schnitt mir der Vorderste mit einem sanften Bodycheck den Weg ab, derweil ihm seine Kameraden vom Bereich hinter meinem Rücken aus assistierten. Als ich keine Anstalten machte, meinen Schritt zu verlangsamen oder das Portemonnaie zu zücken, wurden die Bemühungen, mich zu “überreden”, immer intensiver und aggressiver. Ich sah mich von vorne auf das dichteste körperlich und verbal bedrängt, derweil sich erst einer der Jugendlichen, dann der nächste und übernächste an meinem Rucksack zu schaffen machte.
Meine sehr deutliche Unmutsäußerung zeigte begrenzt Wirkung, rief aber durchaus auch Heiterkeit hervor. Und das Pfeifen und Gestikulieren einer der Mütter im Hof der Häuser stellte sich – entgegen meiner allerersten Vermutung – nicht etwa als eine Art Ordnungsruf einer sich verantwortlich fühlenden Erwachsenen heraus, sondern es galt mir: Ich sollte doch endlich anhalten…
Genau das kannte ich schon von meinen Begegnungen vor und in Spisske Nova. Ich habe diesmal allerdings den Teufel getan, darauf einzugehen, sondern habe – den Blick stur geradeaus gerichtet – genauso zügig einen Fuß vor den anderen gesetzt, wie ich es auch vorher schon getan hatte. Und langsam ließen die jungen Hochleistungsbettler von mir ab.
Nach diesem Erlebnis konnte ich zum ersten Mal vollumfänglich verstehen, warum viele Rumänen an den Zigeunern und Zigeunerkindern vorbeischauen und sie ignorieren, wenn die auf sie zukommen…
Das bei diesem Zusammentreffen entstandene Gefühl, massiv bedrängt zu werden, steckte mir noch heftig in den Knochen, als ich keine halbe Stunde später die nächste Zigeunersiedlung erreichte. Diesmal blickte ich nicht einen Zentimeter links oder rechts, sondern marschierte weiter, wie ich gekommen war. Mit dem Erfolg, dass nicht mehr als zwei oder drei verbale Bettelversuche gemacht wurden, im Ton nicht annähernd so angriffslustig, wie ich es gerade erlebt hatte. Das Empfinden, angegriffen zu sein und irgendwie entkommen zu müssen, entfiel. Und beim dritten Zusammentreffen an diesem Tag mit einer größeren Gruppe von Roma war ich meiner Sache und besonders meiner Vorgehensweise schon so sicher, dass auch die Bettelversuche fast gänzlich ausblieben.
Das alles gab mir dann doch heftig zu denken: Wie kann es sein, dass ich mich gegenüber einer ganzen Gruppe von Menschen schon im Vorfeld verschließe, noch dazu einfach deshalb, weil sie einer bestimmten Ethnie angehören?!? Es ist, daran kann es keinen Zweifel geben, eine Art Angstreaktion, die ich zeige. Man könnte jetzt natürlich vermuten: Angst vor dem Fremden, Andersartigen, das diese Menschen repräsentieren. Angst aus Unverständnis. Man kann aber auch einfach sagen: Angst vor der Übergriffigkeit und Aggressivität.
Wie auch immer: Ich werde an mir zu arbeiten haben. Ist meine Entschiedenheit, die Übergriffe durch eine Art “Ich-bin-gar-nicht-da-Haltung” schon im Ansatz ins Leere laufen zu lassen, nicht irgendwie ersetzbar? Vielleicht sogar durch eine entschlossene Bereitschaft zur Begegnung, die dennoch willens ist, die eigene Integrität zu wahren – ohne Kompromisse? Und der das auch gelingt?!
O Oh!! Allein der Enschluss, das im Anblick einer ganzen Gruppe Romakinder und -frauen wirklich zu versuchen, wird mich jedenfalls all meinen Mut kosten, das ahne ich jetzt schon…
Aggressivität und Distanzlosigkeit sind nun einmal scheußlich und beängstigend. Dazu kommt die Würdelosigkeit des selbstgewählten Betteldaseins ohne jeglichen spirituellen Hintergrund. Diese Würdelosigkeit ist es auch, denke ich, durch die man sich beschämt und beschmutzt fühlt, auch, weil sie einen zu unwürdigem Verhalten zwingt.
Auch hier in Köln, wo ja zum Glück das aggressive Betteln verboten ist, reagieren die Menschen mit Abwehr oder – um sich besser zu fühlen, mit “milden Gaben”.
Ich habe lange gebraucht, um eine Möglichkeit zu finden, an den organisierten Bettlern (wie weit haben sie ihren Betteljob selbst gewählt?) vorbeizukommen, ohne die organisierte Bettelei zu unterstützen, ohne mich in meiner Würde angetastet und mich über mein Mitempfinden missbraucht zu fühlen. Jetzt schaue ich den Menschen immer in die Augen und wünsche ihnen einen guten Tag – man kennt sich unterdessen gut. Aber eigentlich klappt es nur bei denen, die schon wissen, dass sie außer einem “Guten Tag” nichts von mir bekommen und deshalb auch nichts mehr von mir erwarten. Oft bleibt trotzdem ein schaler Nachgeschmack. Wer weiß, was mir noch einfällt. Vielleicht fange ich irgendwann an, sie zu beschimpfen – manchmal denke ich, das wäre das Passendere – das Austeilen von Schimpf und Schande könnte ein Appell an ihre Würde sein und dadurch meine schützen. Wer sich demütigt, demütigt sein Gegenüber immer mit.
Glücklicherweise haben “unsere Veedelsbettler” hier nie betäubte Kinder auf dem Schoß – daran könnte ich nicht tagtäglich mehrmals vorbeilaufen. Es scheint auch so zu sein, dass wegen der Kinder jetzt vonseiten des deutschen Staates eingegriffen worden ist oder wird.
-Übrigens sind zur Zeit alle wieder von ihren Plätzen “abgezogen” worden. Wahrscheinlich geht es um Papiere, Aufenthaltsdauer und Aufenthaltsrecht. (Schön wäre es, wenn ich glauben könnte, es wäre der Kälte wegen.) Nach einer Weile tauchten sie bisher immer wieder auf. Nur der Greis kam eines Tages nicht wieder – kriegt er sein Gnadenbrot oder ist er gestorben?
Die anderen nehmen gerne ihr Frühstück bei den “Baking Friends” (eine Billigbäckerkette) ein, bevor sie zur “Arbeit” gehen und übrigens den “einheimischen” Bettlern die Plätze wegnehmen. Ob die abgefunden werden? Halte ich nicht für ausgeschlossen.
Hoffe, du wirst von den Bettelhorden demnächst verschont und hoffe sehr, dass du keine weiteren Begehrlichkeiten weckst, so dass niemand auf die Idee kommt, dich ausrauben zu wollen. Immerhin hast du ja ein gut funktionierendes Handy dabei. Hast du Telefonnummern deiner Familie im Kopf oder auf einem Zettel? Könnte hilfreich sein, falls das Handy den Besitzer wechselt.
Gott befohlen!
Gruß Rahel