Nach dem Hüttenabenteuer bei Genu in der Nacht auf Montag und der Hotelübernachtung auf Dienstag in Bascov, bei der sich die orthodoxe Pfarrfamilie so überaus großzügig gezeigt hat, habe ich mich Mittwoch Abend in einem Dorf wiedergefunden, in dem es zwar eine Kirche, aber keinen Pfarrer gab. Ich bin direkt neben der Kirche in einem uralten Häuschen untergekommen, bei einem Mann von etwa fünfundsechzig Jahren, der seinen Namen mit Marin Marian angegeben hat. Wir haben vor dem Fernseher erst meine restlichen Erdnüsse und Datteln gegessen, dann hat Marin eine Suppe gekocht. Das Schlafen selbst war durch den Fernseher beeinträchtigt – meines jedenfalls… Den hab ich dann ausgemacht, als Marin zu schnarchen begann. Um 3:30 hat ihn der Hausherr allerdings wieder angeworfen, zu seiner ersten Zigarette des Tages.
Kurz nach meinem morgendlichen, nicht allzu frühen Aufbruch begann für mich an diesem Tag ein denkwürdiger Kampf:
Die Straße, der ich gestern noch viele Kilometer weit schnurgeradeaus auf trockenem Asphalt gefolgt war, wurde zu einem Schotterweg – was man aber nur ahnen konnte, denn sie war nicht mehr geräumt und bald auch nicht mehr befahren. Die 15 bis 25 cm hohe Schneedecke war verharscht und ließ mich bei fast jedem Schritt kraftraubend einbrechen. Mehrmals suchte ich auf der Karte nach Möglichkeiten, wieder auf besser gangbaren Untergrund zu kommen, doch dazu hätte ich mehrere Kilometer weit querfeldein gehen müssen; und da der Tag noch jung war, beschloss ich, mich der Herausforderung so, wie sie war, eine Weile zu stellen. Verschärft wurde die Lage – das muss man vielleicht dazu sagen – durch das “übersichtliche” Frühstück bei Marian: Dort hatte es eine Tasse Nescafe und eine Passivzigarette für mich gegeben.
Nach zweieinhalb Stunden und etwa acht Kilometern bewältigter Strecke hat sich dann die Chance einer Routen-Verlagerung ergeben. Ich war so erledigt, wie sonst nach dreißig Kilometern nicht, und habe nicht gezögert, die Gelegenheit zu nutzen. Fortan konnte ich einem mäßig befahrenen Landsträßchen folgen. Das brachte mich am späten Nachmittag an ein Kloster, deren zwei (!) Bewohner sich nach Kräften bemühten, mir eine Mönchszelle auf “schlafbare” Temperatur zu bringen. Das war nicht einfach: Der Kachelofen rauchte aus allen Ritzen, besonders aber aus dem Kaminanschluss, sodass für eine lange Zeit Tür und Fenster offen bleiben mussten, damit der Übernachtungsgast nicht zu Rauchfleisch werde. Warm angezogen und die Füße möglichst selten am buchstäblich eiskalten Boden, später mit dicken Decken zugedeckt, habe ich den Abend, die Nacht und den Morgen aber gut überstanden. Herausfordernd war in dieser Situation allerdings das Waschen: Das Wasser war wegen der Eiseskälte in dieser Zelle abgestellt; ich hatte zwei Eimer Wasser zur Verfügung, die zum Trinken, zum Waschen und für die Toilette reichen mussten… Aber immerhin, es gab dieses Wasser: Bei Marin hatte ich mich mit Schnee gewaschen.
Das Essen bei den beiden Mönchen, Cassian und Methodie, war übrigens gut und reichlich, besonders auch mein Proviant. Letzteres sollte ich dann auch sehr gut gebrauchen können! Es ergab sich nämlich folgende Situation: Meine Gastgeber in Stefan cel Mare-Glaviacoc hatten mir mitgeteilt, in der Stadt Videle würde ich eine Kirche finden und einen Pastor. Den gab es dann auch. Aber erstens musste ich aus Videle nochmal ein Stück zurückgehen in den Ort davor. In Videle selbst gab es nichts kirchliches. Und zweitens teilte mir der Pope, als ich ihn gefunden hatte, mit, er könne mich nicht beherbergen. Es gebe aber ein Kloster (sogar direkt an meiner Route gelegen), das nicht weit sei. Dort solle ich nachfragen.
Etwas mulmig war mir dabei schon, als ich mich jetzt kurz vor Sonnenuntergang wieder auf die Straße begab. Cassian hatte nämlich die Frage nach einem Kloster verneint… Nun, die fünf Kilometer, die man mir genannt hatte, waren schon längst bewältigt, es war stockdunkel, als ich wieder in eine Ortschaft und in einer Kneipe nach dem Kloster fragen konnte. Das war, wie sich zu meinem heftigen Missvergnügen herausstellte, von dort aus noch genauso weit entfernt wie der Pope, der mich weggeschickt hatte, nämlich zwölf Kilometer! Leider zeigte von den Anwesenden auch niemand den Impuls, mich für die Nacht bei sich aufzunehmen; “nur” das Angebot, mich mit der “Maschina” zum Kloster zu bringen, kann ich vermelden (was bei den hiesigen Verhältnissen keineswegs gering einzuschätzen, sondern durchaus großzügig ist!). Gott sei Dank war mein Proviantvorrat noch nicht annähernd aufgebraucht! So machte ich mich denn wieder auf Schusters Rappen davon – nicht, ohne vorher noch den vergeblichen Versuch gemacht zu haben, bei der Pfarrfamilie in Bascov die Telefonnummer des Klosters in Erfahrung zu bringen, um sicherzustellen, nicht vor verschlossenem Klostertor zu stehen.
Diese Sorge erwies sich als unbegründet: Entgegen den Gewohnheiten, die ich hier überwiegend kennengelernt habe, dass man nämlich früh schlafen geht und zeitig aufsteht, sind die “Schlafregeln” des Klosters geprägt von einer Spätandacht bis nach Mitternacht – und einem “Morgendinner”, zu dem ich mich jetzt, um 11:00 Uhr, einfinden soll, das aber wohl erst um 12:00 Uhr beginnen wird. Ich wurde abends um 21:45 also problemlos eingelassen und bekam, nach mehrfachen “Wartegelegenheiten” und dem Besuch einer Andacht, ein Essen, eine heiße Dusche – und eine sehr kühle Übernachtungsmöglichkeit; man hatte schließlich nicht mit mir gerechnet, und ein kleiner Radiator, wie er hier zum Einsatz kam, braucht so seine Zeit, wenn er ein winterlich kaltes Zimmer erwärmen soll…
Wenn ich richtig gegoogelt habe, hast du die Transsilvanischen Alpen so gut wie überwunden und kommst jetzt langsam in die Ebene, in die Walachei, die bei uns ja sprichwörtlich geworden ist. – Lässt nicht auf Zivilisation hoffen. Wirst du nach Bukarest wandern? Und dann wieder über’s Gebirge oder Richtung Schwarzes Meer? Da soll es ja schön sein – allerdings wohl auch eher im Sommer. Danach Fernziel Istanbul über Ruse, Varna, Burga? Anschließend über die neue Brücke über den Bosporus?
Ich fasse es immer noch nicht, dass du nun schon so lange in diesem Tempo wanderst. Wie oft hast du deine Schuhe schon besohlen lassen? Wie oft dich wenigstens mal in eine warme Wanne gelegt?
Das ist eine mönchisch thermische Behaglichkeit. Eine herzliche Grüße! Entschuldigen Sie mein Deutsch. Ich bin eine Freundin von Regina (caminomazowieckie) und ich auch gehe mit ihr nach Jerusalem, aber nich in Winter!