Was für eine Gastfreundschaft!

Die Wanderschaft nach Rumänien begann mit einer so nicht erwarteten ausgiebigen Personenkontrolle durch die Ungarn. Danach hatte ich freie Bahn. Einem entspannten Fußmarsch bis Großkarol schloss sich hinter der Stadt ein etwas weniger angenehmes Gehen an einer schmalen Straße an, die gut frequentiert war, und zwar auch von “vorwärtsorientierten” Fahrern… Daher war ich sehr angetan, als sich laut Karte die Möglichkeit bot, auf einen Feldweg zu wechseln.

Dieser Weg hatte es in sich: Er weitete sich bald bis auf Autobahnbreite, und er führte mich bestimmt 12-15 km durch fast menschenleeres Gebiet. Nur hier und da einige Ruinen waren zu bewundern – und da, wo sich noch irgendetwas von Wert befand (Strohballen…) , gab es immer mehrere Hunde, die es bewachten.

Die Sonne ging langsam unter, und nirgends war ein Dorf in Sicht, von einem Pfarrhaus oder einem Pastor ganz zu schweigen. Dann wurde es dunkler und dunkler; das Gehen auf der von Traktoren zerfurchten Strecke wurde sehr mühsam.Schließlich war klar: Trestenburg, die nächste Stadt, war eine ganze Reihe von Kilometern weiter rechts, als meine “Autobahn”. Ich setzte darauf, in der Ortschaft Cig, auf die ich direkt zulief, eine Unterkunft zu finden; wo nicht, konnte ich immer noch nach Trestenburg marschieren – ich würde gegen 18:00 Uhr in Cig sein.

Tatsächlich fand sich in Cig eine Kirche. Aber wo um alles in der Welt war jetzt das Pfarrhaus? Das einzige Haus, dasin Frage kam, war zwar beleuchtet, hatte aber – deja vus! – ein verschlossenes Gartentor und keine Klingel. So machte ich mich denn auf den Weg nach Trestenburg. Einer spontanen Eingebung folgend, ging ich aber noch in Cig in eine Kneipe, um dort mit dem Pilgerbrief mein Glück zu versuchen. Es saßen dort einige Kinder und Jugendliche sowie wenige Erwachsene. Ich erregte einiges Aufsehen mit meinem Projekt, und schließlich nahm mich einer der Ältesten zur Seite und sagte mir, ich könne bei ihm schlafen, er habe auch zu essen für mich.

So fuhr ich mit ihm und seinem Sohn zu einem einfachen Haus im Dorf. Ich bekam heiße Wurst und Brot, dazu sauer eingelegtes Gemüse. Dann ging es zwei, drei Kilometer weit in den Außenbereich zur Schweinefarm!

Es machte dort alles den Eindruck, ziemlich neu zu sein  – so  neu, dass noch nicht einmal der Bauschmutz richtig weggeputzt war. Zwei “Knechte” saßen im Aufenthaltsraum bei laufendem Fernseher am Tisch, jeder einen Berg Tabak und ein Stopfgerät vor sich und fertigten sich woh den Zigarettenvorrat für den nächsten Tag an. Selbstverständlich Kette rauchend. Und was den Raum angeht, machte der nicht den Eindruck, schon mal irgendwann gelüftet worden zu sein… Ich zog mich schnell in mein Zimmer zurück, in dem es zwei Betten gab, und legte mir den Schlafsack zurecht: Das Bettzeug, das auf dem einen Bett lag, lud mich nicht zum Verweilen ein…

Dann kamen der Farmer und sein Sohn noch neinmal zurück: Sie hatten mir eine lange dicke Cabanos-Wurst in eine Tüte gepackt, dazu ein Riesentrumm von einer Schweinskopf-Sülzwurst – und ein geräuchertes Rückenfilet. Alles in allem mag die Tüte vier oder fünf Kilo gewogen haben. Meinen zaghaften Protest bügelte der Farmer, der übrigens – wie alle Familienmitglieder – ausgesprochen wohlgenährt genannt zu werden verdient, schon im Ansatz ab: Ich müsse das jetzt mitnehmen, und immer, wenn ich Hunger hätte, etwas davon essen. Weiterer Widerspruch wurde nicht geduldet.

Dann ging ich ins Bad. Das war leider nicht beleuchtet. Und auch nicht geputzt… Und der Duschabfluss noch nicht so richtig fertig. Also ging ich etwas später gewaschen, aber nicht geduscht ins Bett. Die Haare konnten und mussten warten.

Am nächsten Morgen wurde ich etwas unsanft geweckt: Ich hätte um sieben fertig sei sollen. Jetzt war es sechs Uhr achtzehn – aber nur auf meiner Uhr: Ich hatte nicht mitbekommen, dass hier die Uhren anders gehen!

In Rekordzeit sprang ich aus dem Schlafsack, stürzte mich in meine Kleider und stopfte mein Gepäck in den Rucksack. Auf dem Weg zum Auto konnte ich noch eine Tasse Malventee hinunterstürzen, und dann ging es los. Aber nicht, wie ich vermutet hatte, wieder nach Cig hinein, sondern nur an das Sträßchen, das dorthin führt.

Da stand ich nun an der Straße: In leichten Laufschuhen, den Rucksack auf dem Rücken, in der einen Hand eine Tüte mit vier oder fünf Kilo Wurst, in der anderen meine Stiefel. Bei minus 14°…

Ich war über mich selbst erstaunt, wie schnell ich Sportschuhe und leichte Strümpfe aus-, Wollsocken und Stiefel anziehen und die Schuhe samt Strümpfen im Rucksack verstauen kann. Allerdings waren die meine Hände dabei doch so kalt geworden, dass mir auch nach dem “Aufwärmfußmarsch” ins Ortsinnere von Cig noch nicht danach war, mein Handy im Freien fürdie Routenplanung auf Trab zu bringen. In einer warmen Stube würde ich das in 3 Minuten hinbekommen haben, so dachte ich mir. Und sprach einen Mann an, der gerade über seinen Hof lief.

 

Die verbale Verständigung ließ zu wünschen übrig: Von meinen drei “Weltsprachen” Deutsch, Englich und Französisch verstand er nichts, und ich musste bei Ungarisch und Rumänisch passen. Das machte aber nichts: Der Mann verstand gleich noch sehr vielmehr, als ich mich je zu sagen getraut hätte! Er bat mich nämlich in den Hof und ins Haus, und er und seine Frau servierten mir ohne weitere Nachfrage ein reichliches Frühstück – mit gaaanz viel Tee!

Mit Händen und Füßen und unter Zuhilfenahme meines Pilgerbriefs kam dann doch so etwas wie eine Unterhaltung zustande. Zum Abschluss gabs noch das Erlebnis eines Herzhäuschens bei minus 14° Grad, und schließlich zog ich mit einer Flasche herrlichen Tees mit Zitronensaft und Zucker und mit zwei geschmierten Stullen davon. Die Tüte mit den Wurstwaren hab ich (mit einem “halbschlechten” Gewissen) dortgelassen. Ich hoffe auf die Diskretion von Drago (?) und Maria, nicht, dass der edle Spender davon erfährt…

Ich ging einige Schritte der Morgensonne entgegen. Dann konnte und wollte ich nicht anders: Ich hob die ausgebreiteten Arme zu einem tief empfundenen Dankgebet zum Himmel, gerade so, wie ich es von unserem alten Griechischlehrer in der fünften Klasse in Erinnerung habe: “Zeus panton archae, panton hagetor, zeuseu pempon, tautaen hymnon archae!”

So mochten die alten Griechen gebetet haben. Oder so ähnlich…

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2 Kommentare zu Was für eine Gastfreundschaft!

  1. Rahel Britsch sagt:

    Schöner, lebendiger anschaulicher Text!
    Deine Tage scheinen eine gute Mischung aus Routine, Schönem, Unverständlichen und Überraschenden für dich bereitzuhalten. Das gefällt mir!

  2. Elisabeth Lahusen sagt:

    Deine Reise ist wirklich spannend. Herrlich, was Du für Menschenbegegnungen hast.

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