Am zweiten Januar weckten mich um 5:45 Stimmen vor dem Fenster – die Menschen gingen zur Frühmesse. Ich hab mich nochmal umgedreht und bin erst um 7:30 aufgestanden – entsprechend bin ich in Kezmarok erst nach 9:30 aufgebrochen. Der Oberpfarrer, der sich am Vortag ja schon außerordentlich großzügig gezeigt hatte, gab mir noch ein zusätzliches Handgeld mit auf den Weg, das so bemessen war, dass ich bei Bedarf eine ganze Reihe von Tagen essen gehen und im Hostel schlafen könnte.
Das Wetter zeigte sich von der allertrübsten Seite: Eine Himmelsrichtung war beim Blick an den Himmel nicht mal zu erahnen. Das wänderte sich aber schon nach einer Stunde: da war die Sonnenscheibe zum ersten mal als milchig-trüber Schemen zu erkennen. Und gegen Mittag wanderte ich in der strahlendsten Wintersonne auf einem Nebensträßchen mit trockener, fester Schneedecke und weitab jeden menschlichen Krachs durch die Hügel südöstlich von Kezmarok. Herrlich!
Irgendwann, auf einer Höhe von 750 oder 800 Metern, forderte mich die Google-Maps-Stimme auf, rechts abzubiegen. Unt tatsächlich fand sich dort nicht nur ein Weg – er war auch gut begehbar, weil hier offensichtlich Holz abtransportiert worden war. Einen Kilometer weiter war mein Navi allerdings ratlos: Es sah mich im Nirgendwo, und den Weg deutlich weiter im Norden.
Ich folgte jetzt den Wanderweg-Auszeichnungen, die nach Osten verliefen. Das brachte mich auf ungebahntem Weg auf den Grat der lokalen Hügelkette. Dort musste ich der Versuchung widerstehen, einfach “querwaldein” den Steilhang hinunterzustolpern, um doch wieder auf das richtige Sträßchen zu kommen. Ich ging den Wanderweg weiter. Irgendwann war der auch wieder “belebt”, dh. mit menschlichen Fußabdrücken gezeichnet, und am Ende war ich deutlich früher in der nächsten Stadt, als ich zu hoffen gewagt hatte.
Von dort an ging es sieben Kilometer die Hauptverkehrsstraße entlang. Und danach, in der Dämmerung und hereinbrechenden Nacht, wieder eine einsame, gut begehbare Nebenstrecke. Am Himmel tauchten Sichelmond und Abendstern in so malerischer Schönheit auf, dass ich sehr bedauerte, kein Kamerastativ dabei zu haben. Das muslimische Spiritualität einen unmittelbaren Zugang, eine engste Verbindung zu DIESEM Himmelsbild hat, konnte ich in dieser Stunde so tief verstehen, ja erleben, wie nie zuvor.
Um 18:00 Uhr stand ich an einer beleuchteten Kirche. Ich ging hinein und erlebte die Messe fast von Beginn an mit. Als ich mich danach in der Sakristei vorstellte, glaubte ich, beim Pfarrer ein leichtes innerliches Sich-Verschließen schon vor meiner Bitte um ein Nachtlager wahrnehmen zu können. Auf die ausgesprochene Bitte reagierte er übertrieben erstaunt, schüttelte den Kopf, besprach sich mit einem älteren dabeistehenden Mann und zeigte sich auch dann noch unaufgeschlossen, als ich deutlich machte, dass ich einen Schlafsack mithätte und kaum mehr bräuchte als einen Liegeplatz. Schließlich machte er mir mit großen Gesten klar, dass ich doch besser einige Kilometer vor oder hinter diesem Dorf mein Anliegen vorbringen solle…
Nun: Es war erst 18:45, meine Beine waren noch brauchbar; da konnte ich ein Weiterwandern wohl wagen. Im Ort vier Kilometer weiter sprach ich zwei junge Männer an, 18 und 19 Jahre als, wie sich später herausstellte. Sie begleiteten mich 100 Meter zum Pfarrhaus und blieben auch noch etwa eine Stunde bei den sich anschließenden Verhandlungen und Nachtlager-Findungsversuchen dabei. Die übernahm jetzt ein schlanker Kaplan von etwa 40 Jahren, der gut deutsch sprach und der sehr darum bemüht war, seinen katholischen Glauben nicht nur in der Kirche, sondern auch im praktischen Alltag zu leben. Das allerdings stieß insofern auf Hindernisse, als ihm sein Pfarrer wohl untersagt hatte, irgendjemanden über Nacht im Pfarrhaus aufzunehmen…
So begann eine kleine Odyssee: Zunächst – nach einer schnellen Bewirtung mit Tee und von der Mutter selbstgemachten Keksen – brachte er mich zur Caritas im Ort. Da musste ich geraume Zeit an der Tür warten, während der Kaplan verhandelte. Dann kam er mit einem jungen Mann wieder – aber nur, um nochenmal für etwa eine Viertelstunde zu verschwinden, diesmal im Nachbarhaus – dort befinde sich der Vorstand, sagte er mir. Als er wiederkam, erklärte er mir, er habe eine Unterbringung für mich: er fahre mich jetzt in eine acht Kilometer entfernten Ort. Meinen Einwand, ich wolle als Pilger zu Fuß gehen und könne diese Strecke heute noch schaffen, wollte er nicht gelten lassen. Zurück am Pfarrhaus, wo auch das Auto stand, musste sich der engagierte Gottesmann ert einmal um sein vernachlässigte Gruppe Jugendlicher kümmern, die sich inzwischen dort eingefunden hatte. Aber nicht lange: Keine Viertelstunde später kam er wieder und verkündete, er habe nun doch etwas für mich im Ort gefunden!
Zusammen mit zwei gutgelaunten jungen Damen – vom Alter her mit meinen Begleitern vom Anfang der hiesigen Bemühungen vergleichbar – fuhren wir etwa einen Kilometer in die Richtung, aus der ich gekommen war. Dort wurde ich – nach weiteren zehn Minuten im Auto Wartens, das eines der Mädchen schließlich veranlasste, auf die Hupe zu drücken – in der (erst mal kalten) Gästewohnung einer netten vierköpfigen Familie einquartiert. Ein liebevoll zubereitetes Abendbrot gab es auch, nur mit dem Frühstück haperte es etwas… Aber der Kaplan hatte mich am Vorabend noch mit Wurst und eingefrorenem Brot versorgt. Und einen Kaffe habe ich auf Nachfrage auch noch bekommen. Die heutige Etappe beginnt also etwas spät (es ist jetzt 9:32, am Dienstag, den 3.1.2017), aber gut!