Ich habe mich zu einer besonderen Reise entschlossen: einer winterlichen Pilgerreise nach Jerusalem.
Diese Reise, zu der ich am Tag nach Totensonntag aufgebrochen bin, ist ein ungewöhnliches Projekt. Sie hat – neben der innerlich-persönlichen Seite – auch einen weltlichen Aspekt. Und zwar einen von großer Aktualität:
Die Welt scheint aus den Fugen zu geraten, das zeigen besonders die Ereignisse in Syrien und in der Türkei. Und auch innerhalb Europas bekommt die sicher geglaubte Einigkeit und Friedlichkeit Risse.
Viele Menschen wollen am liebsten gar nicht mehr so genau wissen, was in der Welt vor sich geht – sie fühlen sich hilflos gegenüber den wiederaufflammenden Nationalismen und machtlos beim Blick auf Regierungen und Konzerne. Dagegen will ich ein Zeichen setzen: eine Pilgerreise als tätig gelebtes Projekt des Friedens und der Völkerverständigung, ein Übungsweg der Bescheidenheit und des Vertrauens. Ich möchte versuchen, zu Fuß von Schwerin über Berlin, Breslau, Auschwitz, die Slowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien in die Türkei zu reisen – und von dort aus weiter durch Syrien und Jordanien nach Jerusalem. Das Ganze ohne Begleitung und ohne Geld, auf Gedeih und Verderb immer auf die Hilfsbereitschaft meiner Mitmenschen in der Fremde angewiesen.
Zugegeben, das klingt undurchführbar – genauso, wie es derzeit unmöglich erscheint, in Syrien oder der Türkei Frieden zu schaffen. Und undurchführbar ist diese Reise vielleicht auch wirklich. Immerhin scheint die Jahreszeit zum Pilgern denkbar ungeeignet: Wenn die Mitmenschlichkeit ausbleibt, ohne die ein Pilgern ohne Geld natürlich nicht durchführbar ist, wie soll ich da bei winterlichen Temperaturen überleben? Und wie soll eine derartige Reise möglich sein in der Türkei, ganz zu schweigen von Syrien?!?
Und doch muss ich gerade jetzt diesen Weg gehen, in der kältesten, dunkelsten Zeit des Jahres, zur Zeit der heftigsten kriegerischen Auseinandersetzungen in Syrien, zur Zeit immer schlimmerer Entwicklungen in der Türkei und zu einer Zeit, in der sich auch Europa immer mehr verdüstert.
Und warum? Nun, diese Wallfahrt soll eine echte, tiefinnerliche Friedensinitiative sein. Eine Demonstration der Solidarität und des wahrhaftigen Mit-Leidens, die NICHT auf den Frieden WARTET wie auf besseres Wetter, sondern die sich JETZT auf den Weg macht.
Sie will – wie jede Pilgerreise – eine Art großes Gebet mit den Füßen sein. Sie will auf diese Weise mitwirken daran, Frieden zu schaffen – und dabei den bescheidenen Rahmen, der einem Einzelnen ohne Macht und Einfluss vielleich doch bleibt, ausschöpfen. Das geht nicht durch Forderungen, das ist nur möglich durch persönlichen Einsatz. Man muss den Menschen Vertrauen schenken, auch und gerade in der Fremde; ohne Netz und doppelten Boden. Für mich heißt das konkret: ich werde es auf mich nehmen, an keinem Tag dieser Reise zu wissen, ob ich etwas zu essen bekomme und wo ich schlafen kann. Ich akzeptiere das Risiko, allein zu reisen. Und ich möchte nicht davor zurück schrecken, mich nach Syrien zu begeben:
Dort sterben Hunderttausende, die das Pech haben, in der falschen Gegend, im falschen Stadtviertel zu wohnen oder nicht der richtigen Volksgruppe oder Religion anzugehören. Da kann ich nicht vor diesem Land einfach Halt machen, sondern muss – wenn irgend möglich- gerade auch dorthin gehen, um meine Verbundenheit und meine Liebe auch zu diesem Land und seinen Menschen zum Ausdruck zu bringen.
Ich möchte ein Zeichen auch hierfür setzen:
Ich vertraue auf Gott und meine Mitmenschen, nicht ZUSÄTZLICH zu einer bestehenden Sicherheit, sondern ANSTATT! Ich bin bereit, das volle persönliche Risiko zu tragen, ohne das ein echtes Vertrauen nicht möglich ist. Denn ich bin überzeugt: Vertrauen schafft die Möglichkeit, über sich selbst hinauszuwachsen und zu tiefster Menschlichkeit zu finden. Für Christen ist es der Raum, in den der Christus einziehen kann.
Der Friede geht uns alle an. Syrien, die Türkei, Europa und auch Jerusalem erfordern unseren Einsatz. Nicht in Form von Ansprüchen, Forderungen und Besserwisserei. Aber wir können ganz persönliche Bewusstseinsarbeit leisten und versuchen, innere und äußere Grenzen zu überwinden. Und wir müssen wohl Unbequemlichkeiten und Risiken in Kauf nehmen, um einem brüderlichen Miteinander der Völker und Nationen, der Rassen und Religionen näher zu kommen.
Deshalb bin ich unterwegs nach Jerusalem, und deshalb unterstützen mich die Menschen, die zuhause geblieben sind und dadurch diese Reise erst möglich machen, von ganzem Herzen bei diesem Projekt.